yahoo, 15. Dezember 1999, 19:42 Uhr

Öcalan in der Türkei erneut vor Gericht

von: fro/bob/akr

Ankara, 15. Dez - Der in der Türkei zum Tode verurteilte Kurdenführer Abdullah Öcalan muss sich nach Angaben seines Anwalts erneut vor Gericht verantworten. Am Mittwoch habe vor einem Strafgericht in Ankara ein Prozess gegen Öcalan und 100 weitere mutmassliche Rebellen begonnen, sagte Öcalans Anwalt Aydin Oruc der Nachrichtenagentur Reuters. Den Angeklagten, unter ihnen Öcalans Ex-Frau, Kesire Öcalan, würden in den 70er Jahren im Südosten der Türkei begangene Kapitalverbrechen zur Last gelegt. Sollte Öcalan schuldig gesprochen werden, drohe ihm erneut die Todesstrafe, sagte der Anwalt. Der in einem Hochsicherheitsgefängnis einsitzende Öcalan habe an der Gerichtssitzung nicht teilgenommen.

Der Chef der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) war in einem ersten Prozess im Juni wegen Hochverrats zum Tode verurteilt worden. Das Gericht befand Öcalan für schuldig, für den Tod von mehr als 30.000 Menschen verantwortlich zu sein, die im 15-jährigen Kampf der PKK für einen unabhängigen kurdischen Staat ums Leben kamen. Im November hatte ein Berufungsgericht das Todesurteil bestätigt. Der Europäische Menschengerichtshof hat an die türkischen Behörden appelliert, das Todesurteil nicht zu vollstrecken, bis sich das Gericht in Straßburg mit dem Fall befasst habe.

Das neue Verfahren wird weithin als juristische Rückversicherung eingeschätzt, falls der Europäische Menschenrechtsgerichtshof das Zustandekommen des ersten Urteils gegen Öcalan beanstanden sollte. Während das erste Urteil nach einem Schnellverfahren gefällt wurde, soll sich der zweite Prozess an die üblichen Vorschriften des Rechtssystems halten. Daher könnte sich die Gerichtsverhandlung über Monate hinziehen. Das Gericht wolle das Verfahren am 23. Februar fortsetzen, sagte der Anwalt. Die EU, die der Türkei jüngst den Status eines Beitrittskandidaten zuerkannt hatte, hat die Türkei aufgefordert, das Todesurteil nicht zu vollstrecken.