jungle world, 15.12.1999

Abenteuer Menschlichkeit

Für das Rote Kreuz entwickelt sich die restriktive Auslegung des Asylbewerberleistungsgesetzes zum lukrativen Geschäft.

von heike kleffner

Es scheint, als wäre alles umsonst gewesen: der Hungerstreik, die Straßenblockaden, die Solidaritätsaktionen. Seit sechs Monaten protestieren in Berlin Flüchtlinge, die in drei vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betriebenen Heimen leben, gegen ihre schlechte Behandlung. Und noch immer hat sich das DRK auf keine Zugeständnisse eingelassen, obwohl der Landesverband als eine der ersten Wohlfahrtsorganisationen die restriktiven Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes rigoros umsetzte.

Seither erhalten die in den DRK-Heimen untergebrachten Flüchtlinge oft nicht mehr das bisher übliche Taschengeld. Zudem werden sie »vollverpflegt«, wie es im Verwaltungsdeutsch heißt. Hiervon betroffen sind vor allem ausreisepflichtige Flüchtlinge wie beispielsweise Kosovo-AlbanerInnen, BosnierInnen, Roma und Deserteure aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie PalästinenserInnen aus dem Libanon. Sie können seither nicht mehr mit Chipkarten oder Gutscheinen in ohnehin vorgegebenen Supermärkten einkaufen, sondern sind vollständig auf das Fertigessen angewiesen, das ihnen die Heimleitung dreimal täglich austeilt.

Geliefert wird das Essen von der Berliner Unternehmensgruppe Gegenbauer. Das Konsortium, zu dessen Angebot auch Catering für Krankenhäuser sowie Gebäudereinigungs- und Wachdienste im ganzen Bundesgebiet gehören, beschäftigt 11 000 MitarbeiterInnen und macht nach eigenen Angaben einen Jahresumsatz von rund 390 Millionen Mark. »Unsere Hauptaufgabe sehen wir in der nachhaltigen Entlastung unserer Kunden durch die Bereitstellung objektspezifischer Lösungen, die es ihnen erlauben, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren«, erläutert Gegenbauer seine Unternehmensophilosphie. Und: »Die kompromisslose Ausrichtung der Unternehmensgruppe Gegenbauer am Qualitätsgedanken lässt sich auf den einfachen Nenner bringen: Wir sind erst zufrieden, wenn Sie zufrieden sind.« Dass die Flüchtlinge weder mit dem Essen noch mit ihrer Gesamtsituation zufrieden sind, stört natürlich weder die Unternehmensgruppe noch das DRK.

Regelmäßig erklären Rotkreuz-Sprecher in der Öffentlichkeit, dass auch sie gegen die restriktive Auslegung des Asylbewerberleistungsgesetzes seien und die Vollverpflegung für Flüchtlinge ebenso wie für HeimmitarbeiterInnen unzumutbare Bedingungen schaffe. Klaus Schütz, Präsident des DRK-Landesverbandes Berlin, bezeichnete das mit dem Senat abgesprochene Vorgehen gar als »Verhungere-oder-'Hau-ab'-Strategie.« Das aber hält das DRK nicht davon ab, derzeit mit dem zuständigen Bezirksamt Spandau über die Fortführung der Verträge für die Heime zu verhandeln, die zum 31. Dezember des Jahres auslaufen.

Das »Abenteuer Menschlichkeit«, mit dem das DRK derzeit um Spenden wirbt, ist ein lohnendes Geschäft. Wohl deshalb hält der Verband trotz aller Proteste an seinem Vorgehen fest. Für die Unterbringung mit Vollverpflegung erhält die Organisation pro Person einen Tagessatz von durchschnittlich 35 Mark, finanziert von den Bezirksämtern.

Dass es den zuständigen Behörden in erster Linie um Abschreckung von Flüchtlingen und um deren schnellstmögliche Ausreise geht, macht Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin anhand einer einfachen Berechnung deutlich: »Für eine Familie mit drei Kindern, die gemeinsam in einem 25 Quadratmeter großen Heimzimmer untergebracht ist, zahlt das jeweilige Bezirksamt 5 250 Mark monatlich. Wenn diese Familie stattdessen eine Zwei-Zimmer-Wohnung und den für Flüchtlinge ohnehin gekürzten Sozialhilfesatz erhalten würde, würden sich die Kosten vielleicht auf etwas mehr als 2 000 Mark belaufen.«

Bisher sind die Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen mit ihren Protesten ins Leere gelaufen. Weder ein Besuch in der DRK-Zentrale noch Straßenblockaden, Essensverweigerungen, Kundgebungen vor dem Sozialsenat noch ein 19tägiger Hungerstreik haben die Verantwortlichen zum Einlenken bewegt. Jetzt ruft das Berliner Bündnis gegen das Asylbewerberleistungsgesetz unter dem Motto »Kein Geld und kein Hemd dem DRK« zu einem Spendenboykott auf. Bisher hatte die Gruppe aber Mühe, entsprechende Anzeigen in der Presse unterzubringen. So lehnten beispielsweise das Stadtmagazin Zitty und der Tagesspiegel einen Abdruck gegen die üblichen Gebühren ab.

Während in der Hauptstadt immer mehr Flüchtlinge von den restriktiven Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes betroffen sind - nach offiziellen Zahlen handelt es sich um rund 2 100 AsylbewerberInnen und ca. 32 000 Bürgerkriegsflüchtlinge - und gleichzeitig vor allem kosovo-albanische Bürgerkriegsflüchtlinge hilflos auf ihre Ausweisungsbescheide warten, werden im Bundesrat schon neue Initiativen gestartet. So wollen Baden-Württemberg und Hessen den Paragraf 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes abschaffen, der vorsieht, dass den Betroffenen nach drei Jahren wieder eine volle medizinische Versorgung und eine Übernahme von Mietkosten in eigenen Wohnungen gewährt werden. Ein perfider Vorstoß, schließlich würden im Jahr 2000 die ersten Flüchtlinge, die seit 1997 mit den Regelungen des Gesetzes leben müssen, von diesem Paragrafen profitieren.

Und damit auch wirklich keine Zweifel aufkommen, soll das rechtswidrige Arbeitsverbot für alle seit 1997 eingereisten Bürgerkriegsflüchtlinge nach dem Willen der rot-grünen Koalition weiter bestehen bleiben. Ob die Asylsuchenden wenigstens mit einer Erhöhung der Leistungen rechnen können, steht bislang in den Sternen. Dabei wurde diese seit Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes vor sieben Jahren kein einziges Mal an die Preissteigerung angeglichen. Die Flüchtlinge erhalten also heute de facto weniger als 1993. Die neue Regierung hat jetzt eine an der Inflationsrate orientierte Erhöhung für ein Jahr in Aussicht gestellt. Sie soll ab Juli 2000 in Kraft treten. Sicher aber ist auch dies nicht: Ein entsprechender Beschluss steht jedenfalls bisher aus. Die Flucht nach Deutschland soll schließlich ein Abenteuer bleiben. Ganz im Sinne des Roten Kreuzes: Abenteuer Menschlichkeit - Welcome to Germany!