Kölner Stadtanzeiger, 14.12.1999

Leitartikel

Türkei nicht mehr im Schmollwinkel

Der EU-Gipfel hat ein Hindernis bewältigt

Von Klaus Bohnhof

Ende gut - alles gut? Das EU-Gipfeltreffen ist im Großen und Ganzen erfolgreich verlaufen. Dass in Helsinki ein Durchbruch hin zu einer europaweiten Steuer-Harmonisierung geschafft werden könnte, war eher Wunschdenken gewesen. Dass es nicht zu einer weiteren Schlacht zwischen Briten und Franzosen um BSE und Rindfleischexporte kam, war wohl der zügigen Verhandlungsregie durch den EU-Ratspräsidenten Finnland zu verdanken. So konnten sich die 15 Regierungschefs ganz auf das eigentliche Thema konzentrieren, auf die Erweiterung der Europäischen Union.

Die europäische Familie wird größer. Das ist die Konsequenz aus den Gipfelbeschlüssen von Helsinki. Die sechs Bewerberstaaten aus der zweiten Gruppe werden aus ihrer für sie unbefriedigenden Warteposition herausgeführt und können im Frühjahr Verhandlungen mit der EU aufnehmen. Und nicht nur das. Sie erhalten darüber hinaus die Chance, kraft eigener Anstrengungen aufzuholen und Kandidaten der ersten Gruppe einzuholen oder gar zu überholen.

In einigen Fällen sind solche Fortschritte keineswegs bloße Theorie. Die Slowakei könnte, da inzwischen politisch auf gutem Wege, Tschechien einholen, das sich mittlerweile einige ökonomische Rückfälle geleistet hat. Andererseits werden Rumänien und Bulgarien, die Sorgenkinder aus der zweiten Reihe, noch viele Jahre brauchen, um dem Wettbewerbsdruck im europäischen Markt standhalten zu können.

Vor allem aber ist es den EU-Regierungschefs gelungen, die Türkei aus ihrem Schmollwinkel herauszulocken. Schon seit dem Jahr 1963 ist dieses Land mit der Gemeinschaft, damals noch der EWG, assoziiert. Überdies war Ankara seinerzeit vertraglich die Aussicht auf einen Beitritt zugesichert worden - eine aus späterer Sicht leichtfertige Zusage. Denn die Türkei erwies sich jahrzehntelang weder wirtschaftlich noch politisch als fähig, in den Europa-Klub aufgenommen zu werden.

Trotz einiger Verbesserungen hat sich daran bis heute nichts Grundlegendes geändert. Zumal im politischen Bereich liegt sie nach wie vor weit zurück. Die Stichworte lauten hier: Rechtsstaat, Achtung der Menschrechte, Schutz der Minderheiten. Der Kurden-Konflikt ist bislang nicht beigelegt.

Dennoch musste die Europäische Union das gestörte Verhältnis zu Ankara entkrampfen. Sie kann kein Interesse daran haben, dass dieses Land, ein Partner zahlreicher EU-Staaten in der Nato, politisch von Europa wegdriftet. Die Sorge vor einem Abgleiten der Türkei ins islamistische Lager ist seit Jahren leider sehr begründet. Außerdem hat die EU auch die Nöte ihres Mitglieds Griechenland zu beachten. Athen sieht sich in einem Dauerkonflikt mit Ankara wegen der Territorialstreitigkeiten in der Ägäis sowie wegen des Zypern-Problems. Diese Differenzen müssen ausgeräumt werden.

Ankara hat jetzt akzeptiert, dass der Ägäis-Streit entweder politisch oder völkerrechtlich beigelegt werden muss. Hoffentlich hält es sich daran. Durch die Zuerkennung des Kandidatenstatus ist es zugleich gehalten, den Beitritt eines anderen Kandidaten nicht zu blockieren. Zypern, der höchstentwickelte Bewerber, kann also darauf bauen, zu den ersten Ländern zu gehören, die in den Klub einziehen dürfen. Allerdings wohl nur der griechisch-zyprische Süden. Um die Teilung der Insel zu überwinden, dazu fehlt der Europäischen Union trotz aller außenpolitischen Ambitionen noch die Kraft.