Berliner Zeitung, 13.12.1999

"Wir werden das schnell schaffen"

Ruth Berschens

HELSINKI, 12. Dezember. Darauf hat die Türkei zwölf Jahre lang gewartet. Schon 1987 hatte die Regierung in Ankara einen Beitrittsantrag an die Europäische Gemeinschaft gestellt. Erst am vergangenen Wochenende wurde die Bitte erhört. In Helsinki kürten die EU-Staats- und Regierungschefs die Türkei zum Beitrittskandidaten. Damit hat die europäische Staatengemeinschaft erstmals die Tür für ein islamisches Land geöffnet, dessen Territorium größtenteils gar nicht zum europäischen, sondern zum asiatischen Kontinent gehört.

Bis zum Schluss gerungen

Um den historischen Gipfelbeschluss war bis zuletzt gerungen worden. Viel Mühe kostete es, Griechenland davon zu überzeugen, das Beitrittsgesuch des ungeliebten Nachbarn zu akzeptieren. Grenzstreitigkeiten in der Ägäis und die Auseinandersetzung um die Mittelmeerinsel Zypern entzweien Griechen und Türken bis heute. Den EU-Regierungschefs gelang es schließlich, griechische Bedenken mit ausgefeilten Formulierungen in ihrer Erklärung auszuräumen.

Dagegen wiederum rebellierten die Türken. Unter solchen Bedingungen, teilte Ankaras Außenminister Ismail Cem seinem deutschen Amtskollegen Joschka Fischer am Freitagabend telefonisch mit, müsse sein Land womöglich auf die Aufnahme in die Runde der EU-Anwärter verzichten. Hektisch versuchte dann die EU, das drohende diplomatische Fiasko abzuwenden. Bundeskanzler Gerhard Schröder telefonierte mit dem türkischen Premierminister Bülent Ecevit. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac rief seinen türkischen Amtskollegen Suleiman Demirel an. Schließlich mussten der EU-Vertreter für Außenpolitik, Javier Solana und der für die Osterweiterung zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen in höchster Eile nach Ankara reisen, um die Türken zu beruhigen.

Wichtiger als alle europäischen Aktivitäten aber war wohl die Intervention des US-Präsidenten. Von Bill Clinton bekam Ecevit am Telefon zu hören: "Die Türkei sollte den EU-Gipfelbeschluss als Sieg betrachten." Da wusste der türkische Premier, dass er nicht mehr höher pokern durfte. Schließlich war es die US-Regierung, die hinter den Kulissen die Fäden zu Gunsten der Türken gezogen hatte. Es sei kein Geheimnis, so Ecevit in Helsinki, dass sich die Vereinigten Staaten schon immer für einen EU-Beitritt der Türkei stark gemacht hätten. Die geostrategische Bedeutung seines Landes hätten die Amerikaner eben viel früher erkannt als die Europäer.

Die hielten in der Tat lange Zeit Distanz zur Türkei. Noch vor zwei Jahren in Luxemburg sagten die 15 EU-Staats- und Regierungschefs Nein zu einer Aufnahme der Türkei in die Runde der EU-Bewerberstaaten. Doch dann zeigte der Druck aus Washington langsam Wirkung. Beim Kölner EU-Gipfel im vergangenen Sommer äußerten nur noch Griechenland, Italien und Schweden Vorbehalte gegen die Türkei.

Es war der deutsche Außenminister, der schließlich auch die letzten Bedenkenträger umstimmte. Dass sich Fischer so intensiv für die Türkei einsetzte, führen viele Beobachter nicht zuletzt auf das gute Verhältnis des Politikers zu seiner amerikanischen Amtskollegin Madeleine Albright zurück. In Helsinki betonte Fischer, dass die Türkei ab sofort genauso behandelt werde wie alle anderen zwölf EU-Anwärterstaaten in Ost- und Südeuropa. Ecevit beteuerte seinerseits, die Türkei wolle sich genauso bemühen wie alle anderen Bewerberländer - auch bei der Achtung der Menschenrechte. Der Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates werde in der Türkei allerdings noch sehr lange dauern, so die allgemeine Überzeugung in der EU.

Wohl auch deshalb erwähnten die Regierungschefs mit keiner Silbe, welche politischen Konsequenzen der Beitritt eines Landes mit 63 Millionen moslemischen Einwohnern eigentlich für die EU haben könnte. Dieses beredte Schweigen fiel Ecevit durchaus auf. Manche EU-Regierungschefs glaubten wohl, dass bis zum Beitritt der Türkei noch viele Jahre vergehen würden, bemerkte er. Und dann versprach Ecevit: "Das werden wir sehr viel schneller schaffen."