taz 11.12.1999

Freude und Wut in Ankara

Einerseits sieht sich die Türkei durch die Entscheidung von Helsinki endlich in Europa anerkannt, andererseits fürchtet man die Bedingungen der EU

Aus Istanbul Dilek Zaptçioglu

Die Regierung in Ankara hat auf die grundsätzliche Bereitschaft der EU, die Türkei als Beitrittskandidaten zu akzeptieren, positiv reagiert. Die schriftliche Erklärung aus Helsinki jedoch stieß auf deutliche Vorbehalte. Vor allem Mitglieder der an der Regierung beteiligten Partei der Nationalen Bewegung (MHP) tobten. Ministerpräsident Bülent Ecevit nannte die Nachricht aus der finnischen Hauptstadt dagegen "positiv". Am Abend traf sich der Ministerrat, um das Ergebnis zu beraten. Zuvor hatte der Staatsminister für EU-Angelegenheiten und Menschenrechte, Mehmet Ali Irtemcelik, erklärt: "Wir werden uns den Text ansehen und ihn in Bezug auf die türkischen Interessen bewerten. Wir werden sehen, wie die Qualität der Kandidatur ist."

Der Groll in Ankara schien jedoch so groß, dass der außenpolitische Beauftragte der EU, Javier Solana, und Kommissar Günter Verheugen sich genötigt sahen, noch gestern nach Ankara zu fliegen, um die Probleme vor Ort zu erörtern. Inoffiziell verlautete, dass Ankara zwar die Kandidatur nicht abschlagen will, jedoch versuchen wird, die EU zu Änderungen an der schriftlichen Formulierung zu überreden. Gestern abend kursierten Gerüchte, Ecevit und Außenminister Ismail Cem würden mit Solana und Verheugen gemeinsam nach Helsinki fliegen.

Vor allem zwei Punkte in der Deklaration über die Kandidatur der Türkei haben Ankara brüskiert: Der erste Punkt betrifft die Vollmitgliedschaft Zyperns, ohne dass eine Teilung der Insel überwunden worden wäre; Ankara ist gegen die alleinige Aufnahme des griechischen Teils der Insel. In der EU-Erklärung heißt es, dass eine politische Lösung auf Zypern zwar erwünscht sei, aber für die Aufnahme der Inselgriechen keine Vorbedingung darstelle.

Der zweite Punkt, den die türkische Regierung so nicht hinnehmen will, betrifft die Lösung der griechisch-türkischen Grenzprobleme vor dem Internationalen Gerichtshof; eine Entwicklung, die Athen seit Jahren will, die jedoch Ankara bisher strikt ablehnte. In der Helsinki-Deklaration wird, ohne beide Länder namentlich zu nennen, über die Lösung von Grenzkonflikten in Den Haag gesprochen. Nach dem Bekanntwerden der EU-Entscheidung stiegen die Kurse an der Istanbuler Börse um elf Prozent und damit auf einen historischen Rekord.