Frankfurter Rundschau, 10.12.1999

Bei Schily versagt die Regie

Im Blickpunkt: SPD-Parteitag erbost über Asylpolitik des Innenministers

Von Richard Meng (Berlin)

Hunderte Anträge der SPD-Basis sind beim Parteitag an Vorstand oder Fraktion "überwiesen" worden - was eine nettere Formulierung ist für die Übergabe an den Reißwolf für Ideen, die nicht zur Regierungspolitik passen. So wurde ein Vorstoß zum Wahlrecht ab 16, das die SPD früher schon einmal beschlossen hatte, nur an die Fraktion überwiesen. Als es aber um Innenminister Otto Schily ging, versagte die Überweisungsmaschine.

In allen Punkten, die für die Regierung wichtig seien, habe Gerhard Schröder sich beim Parteitag durchgesetzt, wird von der Parteiführung stolz verkündet. Damit wird, wie schon das Thema Panzerexport am späten Dienstagabend, auch der Streit über die Asylpolitik zur unwichtigen Frage für die Regierung erklärt. Denn hier versagte erneut die Parteitagsregie, obwohl Vize-Fraktionschef Ludwig Stiegler im Namen der "Antragskommission" den Vorschlag der Überweisung mit dem Argument begründet hatte, es gehe in Wahrheit doch vor allem um ein "Abstrafen" Schilys. In der Sache seien die beiden Anträge zur Asylpolitik, die zum Anlass der Debatte wurden, unnötig. Ersteres sah der Parteitag ähnlich, letzteres nicht. Die Delegierten waren sauer auf den Innenminister, der in Interviews die weitaus meisten Asylbewerber als "Wirtschaftsflüchtlinge" bezeichnet und eine Anpassung des deutschen Asylrechts an niedrigere europäische Standards für unvermeidlich erklärt hatte.

Sätze wie "Der muss jetzt beweisen, dass er auch ein Reaktionär ist" machten am Rande des Parteitags die Runde. Und dass Schily Ministeriumstermine wahrnahm, statt mit der Partei zu debattieren, wurde als Beleg für seine "Arroganz" gewertet. Seine Aussagen hätten "das Entsetzen der ganzen Partei" herausgefordert, sagte am Rednerpult eine Delegierte aus Schleswig-Holstein. Sie bekam Beifall, auch für den Satz: "Es tut mir leid, ich habe kein Verständnis dafür."

Sie forderte, der Parteitag müsse "hier und heute entscheiden, um ein Signal an die Öffentlichkeit zu geben, dass wir nicht der Meinung unseres Innenministers sind". Eine knappe Mehrheit beschloss anschließend auch, hier und heute zu entscheiden, und mochte sich auch mit dem Vorschlag von Tagungsleiter Kurt Beck nicht abspeisen lassen, bei Überweisung an die Bundestagsfraktion "das Protokoll der Debatte beizufügen, damit sie nachvollziehbar wird für diejenigen, die nicht da sind."

Als abgestimmt wurde, war der Regierungsflügel in der Minderheit. Der Antag zweier Münchener Ortsvereine, der fundamentale Änderungen im Asylrecht einschließlich Außer-Kraft-Setzung des Flughafenverfahrens fordert, wurde mit knapper Mehrheit beschlossen. Ein Initiativantrag für eine weitreichende Altfallregelung und hohe europäische Standards beim Asylrecht erhielt mehr als 90 Prozent Zustimmung.

Schröder mied eine Wortmeldung, hob nur zweimal die Hand zur Nein-Stimme. Stiegler riet später, die Beschlüsse "nicht zu hoch" zu hängen. Die Partei habe eben wieder einmal etwas beschlossen, was "uns in der Realität Schwierigkeiten macht". Da müsse man nun eben "dran arbeiten" - aber von baldigen praktischen Konsequenzen war bei den Überstimmten nicht die Rede.

Kaum war die Regiestörung vorbei, wurde von der Parteiführung wieder abstrakt die Kraft der SPD als "Programmpartei" (Rudolf Scharping) betont. Ex-Parteichef Hans-Jochen Vogel forderte, Progamme müßten "Orientierung geben, an dem entlang richtig und falsch zu bewerten" seien. Da verdüsterte sich vorübergehend noch einmal die Miene des Kanzlers. Vogel mahnte, die Regierung dürfe es "nicht als Dolchstoß ansehen, wenn die Partei etwas fordert, was über die Regierungspolitik hinaus geht." Aber Schröder konnte gleich wieder lachen, denn Vogel fügte an: "Die Partei darf es nicht als Verrat auffassen, wenn die Regierung manches nicht aufgreift."