Tagesspiegel, 10.12.1999

"Für die Türkei spricht nahezu nichts"

EU-Parlamentarier Elmar Brok wirft Joschka Fischer Fehleinschätzung vor

Ist bereits entschieden, dass die Türkei als Beitrittskandidat nominiert wird? Ich glaube schon. Es geht nur noch um Verhandlungen mit Griechenland, das besondere Zugeständnisse herausholen will, insbesondere was den EU-Beitritt des griechischen Zypern angeht.

Was spricht für die Türkei?

Nahezu nichts. Außer, dass die Sache so weit vorangetrieben wurde, dass sie sich kaum noch rückgängig machen lässt. Und das ist unter der deutschen Ratspräsidentschaft wegen einer Fehleinschätzung des deutschen Außenministers Joschka Fischer so weit gekommen. Er meint, wenn die Türkei den Kandidatenstatus bekommt, wäre es leichter, die Menschenrechte durchzusetzen. Wir wissen aus der Erfahrung mit der Zollunion, dass das nicht stimmt. Die Türkei erfüllt auch aus vielen anderen Gründen die Bedingungen von Kopenhagen nicht. Beitrittsverhandlungen werden daher in einem sehr langen Zeitraum nicht möglich sein. Dann werden die Frustrationen in der Türkei noch größer. Wir entfernen uns von dem Ziel, die Türkei an den Westen zu binden.

Sie fordern die Verantwortlichen auf, der Türkei keinen Kandidatenstatus zu geben?

Ich meine, dass diese Entscheidung falsch ist. Wir müssen der Türkei auf andere Weise in vielen Punkten helfen, auch dadurch, dass wir unsere Verpflichtungen aus der Zollunion endlich erfüllen, etwa die Freigabe der Finanzprotokolle. Und wir sollten uns vor einer solchen Erweiterung an Lösungen wie den Europäischen Wirtschaftsraum erinnern. Dann entsteht ein Band potenzieller Kandidaten um die EU herum, und wir können sehen, wie sich ein bestimmtes Land entwickelt. Auf der Grundlage kann man über einen Beitritt reden.

Wird Griechenland sein Veto einlegen?

Die anderen Staaten haben sich so weit festgelegt, dass sie Griechenland durch Nachgeben in anderen Punkten mitziehen werden, wie der Deblockierung der Aufnahme des griechischen Teils Zyperns.

Wie weit soll die EU überhaupt erweitert werden? Und was ist langfristig die Perspektive der Türkei?

Man weiß heute nicht, wie sich einzelne Länder entwickeln, selbst solche wie Kroatien auf dem Balkan. Oder wann es ein demokratisches Serbien gibt. Nicht zu reden von Weißrussland. Die Perspektive muss offen sein. Aber man muss die Zeiträume für Veränderung realistisch einschätzen. Ein Kandidatenstatus für die Türkei stellt die Frage nach den finalen Grenzen Europas ganz neu. Man wird gezwungen, anderen Ländern heute ein Nein zu sagen, etwa der Ukraine, obwohl es besser wäre, die Entwicklung offen zu halten. Bei der Türkei ist heute nicht klar, ob sie überhaupt bereit ist, die für die EU nötigen Souveränitätsverzichte zu üben. Ich glaube, der Türkei ist in vielem nicht bewusst, was die Mitgliedschaft bedeutet.

Sie fordern für heute: Kein Nein, aber auch kein Ja?

Man soll es offen halten. Erst wenn beide Seiten zu dem Ergebnis kommen, dass es funktionieren könnte, soll man über den Kandidatenstatus reden. Es ist unfair gegenüber der Türkei, aus symbolischen Gründen den Status anzubieten und hinter vorgehaltener Hand zu sagen: Sie kommen nie rein.