Neue Züricher Zeitung, 8.12.1999

Bedingungen Athens für EU-Beitritt der Türkei

Ruf nach Gesten im Zypern-Konflikt und im Ägäis-Disput

Wenige Tage vor dem EU-Gipfel in Helsinki hat der griechische Aussenminister Vorbehalte gegenüber der Aufnahme der Türkei in die Europäische Union geäussert. Dabei nannte er den Verzicht von Gewalt und Fortschritte bei der Lösung des Zypern-Konflikts. Die Haltung Athens muss auch auf dem Hintergrund der Wahlen im Jahr 2000 gesehen werden.

H. G. Athen, 7. Dezember

Der griechische Aussenminister, Georgios Papandreou, hat im Anschluss an den EU-Aussenministerrat am Dienstag in Athen die Haltung seines Landes in der Frage der Aufnahme der Türkei in den Kreis der EU-Beitrittskandidaten erläutert. Er stellte die von Athen für eine Aufnahme Ankaras gestellten Vorbedingungen als gesamteuropäische Kriterien für ein Ja der EU zur Türkei hin. Der Minister bemühte sich, den Eindruck vom chronischen Störenfried Griechenland zu zerstreuen, der Athen vor allem seit der Verweigerung der Anerkennung der Republik Mazedonien anhaftet. Sein Land vertrete im Falle der türkischen Kandidatur, so sagte Papandreou, nicht nationale Sonderinteressen, sondern setze sich für ein Festschreiben allgemein europäischer Grundsätze ein, die Ankara im Laufe des Prozesses der Eingliederung in die EU einzuhalten habe. Das müsse auch im Interesse der Türkei erfolgen.

Papandreou nannte in diesem Zusammenhang den ausdrücklichen Verzicht der Türkei auf die Anwendung von Gewalt und auf das Schaffen vollendeter Tatsachen auf Zypern und in der Ägäis. Auch erwähnte er die Festlegung auf einen Prozess der Demokratisierung. Auf die Frage, weshalb er seine europäischen Amtskollegen in Brüssel nicht für die Annahme dieser Bedingungen habe gewinnen können, wenn es sich bei ihnen um gesamteuropäische Anliegen handle, sagte der griechische Aussenminister, die meisten Regierungen der Länder der EU hätten andere Prioritäten. Papandreou liess durchblicken, dass eine ganze Reihe von EU-Mitgliedern die Türkei mit einer unverbindlichen Einladung zum Beitritt abspeisen wolle. Diese versteckten ihre eigenen Vorbehalte allzu bereitwillig hinter der griechischen Position. Grundsätzlich stehe Athen dem Beitritt der Türkei aber viel positiver gegenüber als zum Beispiel Deutschland und Österreich. Der Aussenminister sprach die Hoffnung aus, dass auch im Fall eines griechischen Vetos gegen die Aufnahme der Türkei in den Kreis der EU- Kandidaten am Gipfel Ende dieser Woche in Helsinki der griechisch-türkische Annäherungsprozess der letzten Monate fortgeführt werde. Er selbst wolle alles dafür tun.

Die der Regierung Simitis nahestehenden Zeitungen gaben sich am Dienstag trotz allem optimistisch in der Frage der Aufnahme der Türkei in die EU. So lautete die Schlagzeile in der Zeitung «Exousia» (Die Macht): «Näher einem Kompromiss als einem Veto.» Auch das Blatt «To Vima» (Die Tribüne) titelte: «Griechenlands Ja oder Nein hängt einzig von der Haltung der Europäer ab.» Dies liegt ganz auf der Linie der - bisher allerdings erfolglosen - Bemühungen Griechenlands, als Gegenleistung für die Zustimmung zur EU-Kandidatur der Türkei Rückendeckung aus Brüssel für den Standpunkt Athens im Ägäis-Disput und im Zypern-Konflikt zu erhalten. Beim EU-Gipfel in Lissabon war es Athen gelungen, sein Ja zur Zollunion der Europäischen Union mit der Türkei mit der Zustimmung Brüssels zur Aufnahme Zyperns in den Kreis der Beitrittskandidaten zu verknüpfen.

Auch Ministerpräsident Simitis hat inzwischen erklärt, die Wahrung der nationalen Interessen Griechenlands werde seine einzige Richtschnur am EU-Gipfel in Helsinki sein. Es müssten unbedingt die Spielregeln festgelegt werden, welche die Türkei als EU-Kandidatin gegenüber seinen Nachbarn, gegenüber Europa und der eigenen Bevölkerung einzuhalten habe. Dies müsse jetzt geschehen. Simitis gibt mit diesem harten Kurs dem Drängen wichtiger Parteifreunde innerhalb seiner Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) nach, die vor dem Wahljahr 2000 keine aussenpolitische Schlappe riskieren wollen. Die stärkste Oppositionspartei, die bürgerliche Nea Dimokratia, will eine EU-Kandidatur der Türkei mit noch grösseren Auflagen als die Pasok verbinden. Laut den Worten ihres Spitzenfunktionärs Stavros Dima wird Simitis in Helsinki in jedem Fall eine Niederlage einstecken, denn sowohl ein Nachgeben als auch ein Veto zeigten die Unfähigkeit der Regierung und der Pasok, die Interessen Griechenlands den europäischen Partnern gegenüber durchzusetzen.