Süddeutsche Zeitung 8.12.1999

Meinungsseite

Die Türkei braucht Europa

Wer Ankara den Kandidatenstatus verweigert, gefährdet die Demokratisierung des Landes

Von Wolfgang Koydl

Es wird also wieder einmal an den Griechen scheitern, wie so oft in den letzten Jahren. Denn so, wie es aussieht, hat sich nur Athen noch nicht dazu durchringen können, der Türkei übermorgen auf dem nächsten Gipfeltreffen der Europäischen Union (EU) den Status eines Beitritts-Kandidaten zuzugestehen. Wahrscheinlich wird es eine lange Nacht werden im winterlich finsteren Helsinki; eine Nacht, in der die Griechen - mit tatkräftiger französischer Unterstützung - pokern, zetern und feilschen werden, als ob es um ihr Seelenheil ginge.

Doch so schlimm steht die Sache nicht, deshalb müssen die 14 anderen EU-Staaten wenigstens dieses Mal hart bleiben. Zum einen mögen sie sich daran erinnern, dass erfolgreiche griechisch-französische Erpressungsversuche in der Vergangenheit stets nur neue Probleme geschaffen haben. Zum anderen zeigt eine unvoreingenommene Bestandsaufnahme, dass die EU als Ganzes - Hellas inklusive - nur gewinnen kann, wenn sie Ankara durch die Hintertür einlässt. Ein Risiko geht Europa damit nicht ein. Riskant würde die Sache nur werden, wenn man die Türken abermals abweisen würde. Die Folge wäre ein politisches Erdbeben unkalkulierbarer Stärke.

Würde die Türkei jedoch Kandidat für einen späteren EU-Beitritt werden, so hätte dies unmittelbar positive Folgen. So würden beispielsweise Ankaras Gegner in Westeuropa recht rasch als Heuchler entlarvt. Das sind jene Kräfte, die händeringend die Durchsetzung der Menschenrechte, die Demokratisierung und die Verbesserung der Lage der Kurden anmahnen. Wer eine solche demokratisch gewendete Türkei wirklich will, muss ja sagen zur europäischen Perspektive des Landes. Denn nur der Kandidatenstatus könnte die Initialzündung auslösen zu einer inner-türkischen Debatte über Kurden und Souveränitätsverzicht, Demokratie und Bürgerrechte. Wer indes die türkischen Demokraten ihrem Schicksal überlassen will, der möge in Helsinki getrost gegen Ankara stimmen.

Worum aber geht es Griechenland? Vorgeblich nur um Gesten: Ankara soll seinen Zwist mit den Hellenen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag austragen, und es soll die Türken in Nord-Cypern ein klein bisschen fallen lassen. Als Seelenverwandte der Türken wissen die Griechen nur zu gut, dass diese "Gesten" aus Gründen nationaler Ehre unerfüllbar sind. Wenn also die Türkei schon keine Zugeständnisse machen kann (und wird), soll wenigstens - so das griechische Kalkül - Europa bluten.

Tatsächlich will Athen von der EU nicht mehr und nicht weniger als eine Kehrtwendung in der bisherigen Cypern-Politik: Als Preis für die Zustimmung zur türkischen Kandidatur verlangt Athen das Zugeständis, nicht auf eine Lösung der vertrackten Cypernfrage zu warten, sondern notfalls den griechischen Teil der Inseln allein in die Union aufzunehmen. Der Deal mag verlockend klingen, aber gewonnen ist damit noch nichts. Im Gegenteil: Wenn erst einmal - mit Cypern - zwei griechische Staaten EU-Mitglied sind, kann sich der türkische Kandidat abrackern wie er will. Er wird nie eine faire Chance erhalten.