Die Welt, 6.12.99

Griechenland nutzt Zypern als Faustpfand

Nur wenn die geteilte Insel in die EU aufgenommen wird, will Athen der türkischen Kandidatur zustimmen

Von Andreas Middel

Brüssel - Die Lösung der Zypernfrage wird zum Schlüsselelement bei der Osterweiterung der Europäischen Union und der Aufnahme der Türkei in den Kreis der Beitrittskandidaten. Das Projekt "Wiedervereinigung des Kontinents", wie Bundeskanzler Gerhard Schröder die Osterweiterung nennt, hängt somit vom Schicksal der Mittelmeerinsel ab. Im Vorfeld des heutigen Außenministertreffens in Brüssel laufen hinter den Kulissen die Verhandlungen vor allem mit der griechischen Regierung auf Hochtouren. Denn Griechenland ist das einzige Land, das noch ernsthaften Widerstand gegen den Kandidatenstatus der Türkei betreibt.

Eine Verschiebung des Türkeithemas komme nicht in Frage, heißt es in Brüssel, denn damit würde eine neue Eiszeit zwischen der Türkei und Griechenland entstehen. Das weiß auch der türkische Regierungschef Bülent Ecevit, wie er jetzt dem Nachrichtenmagazin "Focus" erklärte. Da aber die Zustimmung zur Erweiterung und der Türkei von den EU-Staats- und Regierungschefs in Helsinki einstimmig getroffen werden muss, will man der Regierung in Athen einen Kompromiss abringen. Und der dreht sich zwangsläufig um Zypern.

Mit der Insel hat Athen gleich ein doppeltes Faustpfand in der Hand. Immer wieder hat die griechische Regierung betont, dass es seine Zustimmung zur Erweiterung verweigern werde, sollte Zypern nicht in die EU aufgenommen werden. Zum anderen aber macht Athen jegliches Entgegenkommen gegenüber der Türkei von einer Entspannung auf der zwischen Griechen und Türken geteilten Insel abhängig. Knapp eine Woche vor dem EU-Gipfel macht die Regierung in Athen jetzt verstärkt darauf aufmerksam, dass sie noch nicht bereit ist, dem Kandidatenstatus der Türkei zuzustimmen. "Das, was bisher auf dem Tisch liegt, reicht nicht", so griechische Delegationskreise. Und sollte Griechenland zu einem Veto gegen die Türkei gezwungen sein, liege die Verantwortung bei den EU-Partnern, erklärte der griechische Außenminister George Papandreou.

Für die übrigen 14 Regierungen ist damit klar, dass Athen wieder die Zypern-Karte ausspielt. Und das bringt die bisherige Beitrittsstrategie für Zypern gehörig durcheinander. Die Marschrichtung bislang besagt: Verhandlungen ja, aber auf keinen Fall Aufnahme einer geteilten Insel in die EU. Genau diesen letzten Passus aber will Athen ändern lassen. Man stimme einem Kandidatenstatus für die Türkei nur zu, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs im Gegenzug beschließen, dass ein geteiltes Zypern der EU beitreten kann, so lautet das Junktim der Athener Regierung. Seit 1974 halten türkische Truppen einen Teil der Insel besetzt. Und Ankara hat als einzige Regierung den Vertreter der türkischen Zyprioten, Raul Denktasch als Regierungschef anerkannt. Denktasch lehnt es bislang strikt ab, mit den Inselgriechen Verhandlungen über die Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Daran dürften auch die jetzt in New York stattfindenden UN-Zypern-Gespräche wenig ändern.

Da also die Vision eines vereinten Zyperns zunächst einmal nur Zukunftsmusik ist, scheint die Stimmung bei den 14 übrigen EU-Regierungen zu Gunsten der griechischen Vorschläge zu kippen. "Wenn wir den Zypernknoten lösen, lösen wir auch den der Türkei und den der gesamten Osterweiterung", sagt ein hoher Diplomat in Brüssel. Für alle, so seine Einschätzung, wäre mit der Zypernfrage ein "Riesenproblem gelöst". Selbst die Bedenken der schwedischen Regierung wegen der Menschenrechtsfrage in der Türkei sind mittlerweile vom Tisch. "Es gibt das skandinavische Problem nicht mehr", heißt es in Brüssel. Im Klartext heißt dies, dass von den Skandinaviern kein Veto zu erwarten ist.

Dennoch wagt im Augenblick niemand, eine Prognose für den Helsinki-Gipfel. Und auch in Ankara bleibt man skeptisch. Auf die Einladung an Außenminister Ismail Cem nach Helsinki hat man noch nicht reagiert. Man wolle erst einmal abwarten, was beim EU-Gipfel konkret beschlossen wird, bevor man der Einladung folgt, heißt es in türkischen Kreisen.