nzz, 3.12.99

Neuer Anlauf zur Lösung des Zypern-Problems

Die griechisch-türkische Annäherung als Hoffnungsschimmer

Die Uno unternimmt einen neuen Versuch, Bewegung in die festgefahrene Zypern-Frage zu bringen. Zu Optimismus besteht wenig Anlass, denn die Position der Griechen und Türken ist nach wie vor unvereinbar. Voraussetzung für eine Annäherung ist eine Entspannung zwischen Athen und Ankara. Trotz einer bemerkenswerten Klimaverbesserung gibt es in den wichtigsten Streitpunkten jedoch keine Anzeichen für eine Überwindung der Differenzen.

C. Sr. Seit Jahrzehnten bemüht sich die Uno um eine Lösung des Zypern-Problems, bisher ohne Erfolg. Nach langem Drängen und unter dem Druck der Vereinigten Staaten haben der Präsident der Republik Zypern, Klerides, und der Führer der Türkischzyprioten, Denktasch, eine Einladung des Uno-Generalsekretärs Annan zu indirekten Gesprächen in New York über die Zukunft der seit der türkischen Invasion im Jahre 1974 in einen griechischen Süden und einen türkischen Norden geteilten Mittelmeerinsel angenommen. Sie beginnen am 3. Dezember. Denktasch liess sich erst zur Teilnahme bewegen, nachdem die Uno ihr Einladungsschreiben dahingehend geändert hatte, dass Klerides nicht mehr als Präsident der Republik Zypern bezeichnet wird, sondern als «seine Exzellenz, Herr Klerides». Vor seinem Abflug nach New York hatte Denktasch einmal mehr bekräftigt, dass es ohne die Anerkennung zweier Staaten auf Zypern keine direkten Verhandlungen mit den Griechischzyprioten geben werde.

Atmosphärische Entkrampfung

Wird es dennoch, wie Optimisten meinen, diesmal anders sein als bei den bisherigen Gesprächen? Trifft es wirklich zu, dass der Zeitpunkt noch nie so günstig war wie gerade jetzt? Jene, die diese Fragen bejahen, weisen auf die Entkrampfung in den Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei hin, was in der Tat die wichtigste Voraussetzung für Fortschritte bei der Lösung des jahrzehntealten und dementsprechend festgefahrenen Zypern-Problems ist. Doch kann die Verbesserung der Atmosphäre, die auch im beiderseitigen Verzicht auf populistische und nationalistische Parolen sowie im nüchternen und sachlichen Ton der Regierungschefs und Aussenminister zum Ausdruck kommt, nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Athen und Ankara, trotz Fortschritten im Bereich der Wirtschaft, des Tourismus, der Kultur und der Bekämpfung des Terrorismus bei den wichtigsten Streitpunkten nicht nähergekommen sind.

Den von der Türkei geforderten umfassenden Dialog über alle offenen Fragen lehnt Athen ab. Während Ankara Ansprüche auf einige der türkischen Westküste vorgelagerte Inselchen erhebt, ist für Griechenland die Abgrenzung des Festlandsockels in der Ägäis das einzige in den internationalen Verträgen nicht geregelte und deshalb ungelöste Territorialproblem. Nach Ansicht Athens liegt die Entscheidung in dieser Frage jedoch beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Bei allen andern Forderungen Ankaras handelt es sich aus griechischer Sicht um ungerechtfertigte territoriale Ansprüche, die in keinem Fall Gegenstand von Verhandlungen sein können.

Druck vor dem EU-Gipfel

Auch in der Zypern-Frage gehen die Ansichten diametral auseinander, und die Meinung ist weit verbreitet, dass mit Klerides und Denktasch, die in den sechziger Jahren an der ethnischen Trennung der Insel mitgewirkt haben, eine Überwindung der Teilung nicht möglich sei. Optimisten sehen allerdings in der Tatsache, dass sowohl die Republik Zypern als auch die Türkei der EU beitreten wollen, eine einmalige Chance für ein Aufbrechen der starren Fronten. Auch wird argumentiert, dass die Türkei im Vorfeld des EU-Gipfels in Helsinki vom 10. und 11. Dezember, von dem sie sich die Aufnahme in den Kreis der Beitrittskandidaten erhofft, eher gewillt sei, Denktasch zu Zugeständnissen zu bewegen. Ähnliches gelte für die Regierung in Nikosia, mit der Brüssel bereits Beitrittsverhandlungen aufgenommen hat. Diese wolle eine möglichst schnelle Aufnahme des Landes in die EU und sei deshalb eher zu Konzessionen bereit, zumal ein Beitritt ohne eine vorherige politische Lösung des Zypern-Konflikts unwahrscheinlich sei.

Doch für eine Kompromissbereitschaft gibt es kaum Anzeichen. Während Ankara verlangt, dass das Zypern-Problem von der Frage eines EU-Beitritts abgekoppelt werden müsse, will Athen die beiden Themenkreise miteinander verknüpfen. Für den Verzicht auf ein Veto will Griechenland die Zusicherung der EU, dass Zypern im Falle der Erfüllung der wirtschaftlichen Kriterien auch als geteilte Insel aufgenommen wird. Von Ankara erwartet Athen ebenfalls Gesten des Entgegenkommens. Dazu zählen Fortschritte bei den eine Woche vor dem EU-Gipfel in Helsinki beginnenden Zypern-Gesprächen in New York. Verlangt wird eine Überwindung des Status quo. Eine andere Geste wäre aus Athener Sicht die Bereitschaft Ankaras, die territorialen Dispute in der Ägäis dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Entscheidung vorzulegen. Die griechische Regierung steht vor einer schwierigen Entscheidung. Ein Nein zur Aufnahme der Türkei in den Kreis der EU-Beitritts-Kandidaten kann sie sich kaum leisten. Im Falle einer Zustimmung ohne Zugeständnisse Ankaras muss sie mit innenpolitischen Turbulenzen rechnen.

Föderation oder Konföderation?

Seit den siebziger Jahren liegt der von der Uno erarbeitete detaillierte Plan einer «bikommunalen, bizonalen Föderation» auf dem Tisch, der eine ungeteilte Souveränität und eine einheitliche Staatsbürgerschaft vorsieht. Der Führer der 1983 einseitig proklamierten und nur von der Türkei anerkannten «Türkischen Republik Nordzypern», Denktasch, lehnt seit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen der EU mit der griechischzypriotischen Regierung in Nikosia dieses Konzept ab. Zuvor hatte er diesem - zumindest verbal - noch zugestimmt, ohne dass es aber zu einer Annäherung gekommen wäre. Während die Regierung in Nikosia eine möglichst starke Zentralmacht innerhalb der Föderation anstrebt, will Denktasch eine aus zwei Staaten bestehende Konföderation. Er sieht darin die einzige Möglichkeit, die Türkischzyprioten, die weniger als 20 Prozent der Gesamtbevölkerung Zyperns ausmachen (wobei der Anteil der Türken vom Festland zunimmt), vor der politischen Dominanz der griechischzypriotischen Mehrheit zu schützen.

Auch im Falle einer Annäherung in der entscheidenden Frage des Staatsaufbaus und damit der Verteilung der Macht gäbe es noch eine Fülle von höchst kontroversen Problemen. Eines davon ist die territoriale Abgrenzung; zurzeit befinden sich 37 Prozent Zyperns unter der Herrschaft der Inseltürken; das ist nach Auffassung Nikosias zu viel. Auch verlangen die Griechen das Recht auf vollständige Bewegungsfreiheit, auf die Rückkehr in den nördlichen Teil der Insel. Sie fordern ihren früheren Besitz zurück. Aus griechischer Sicht kann es keine wirkliche Entspannung geben, solange 30 000 türkische Soldaten im Nordteil der Insel stationiert sind. Für die Griechen handelt es sich um eine Besatzungstruppe, die als Bedrohung empfunden wird. Zugeständnisse Ankaras in dieser Frage sind keine zu erwarten, denn die Türkei betrachtet die Existenz eines türkischen Staates in Nordzypern sowie die Truppenpräsenz auf der Insel als einen Grundpfeiler der eigenen Sicherheit.

Die Last der Geschichte

Wenn die türkische Seite am Zwei-Staaten- Konzept festhält, dann gibt es in Zypern keine Lösung, denn eine Konföderation wird auch von der Uno und den westlichen Staaten abgelehnt. Die griechische Seite betrachtet bereits den Verzicht auf den Einheitsstaat als ein Entgegenkommen. Es ist unwahrscheinlich, dass Klerides gewillt ist, seinem Kontrahenten in diesem Punkt substantielle Zugeständnisse zu machen. Mit Vorschlägen, die beiden Teile Zyperns - ähnlich wie in Bosnien - als Entitäten zu bezeichnen, ist noch nichts gewonnen. Nach wie vor halten Denktasch und mit ihm die türkische Führung, denen der Status quo auf Zypern entgegenkommt, auch daran fest, dass die zypriotische Regierung in Nikosia nicht das Recht habe, im Namen der Inseltürken zu sprechen; gemäss der Verfassung von 1960 seien die beiden Volksgruppen politisch gleichberechtigt.

Es war in der Tat der damalige zypriotische Präsident, Erzbischof Makarios, der 1963 einige die vereinbarte Machtteilung betreffende Paragraphen der Verfassung ausser Kraft gesetzt hatte. Die Folge davon waren gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den beiden Volksgruppen. Die von den Griechen bedrängten Türken zogen sich in Enklaven im Norden Zyperns zurück, in denen sie eine eigene Verwaltung aufbauten. Uno-Soldaten wurden entsandt, die bis heute die Demarkationslinie überwachen. Ein von der Athener Militärjunta inszenierter Putsch mit dem Ziel des Anschlusses Zyperns an Griechenland diente der Türkei als Vorwand und Rechtfertigung für die Invasion von 1974.

Aus der Sicht der türkischzypriotischen Führung ist die «Türkische Republik Nordzypern» ein eigener Staat, dem niemand seinen Willen aufzwingen dürfe. Eine Regelung des Zypern- Problems setzt jedoch gerade in diesem entscheidenden Punkt, was immer in der Vergangenheit geschehen sein mag, ein Nachgeben der türkischen Seite voraus. Die Staatengemeinschaft hat die Regierung in Nikosia als die alleinige Repräsentantin ganz Zyperns anerkannt, und davon wird sie nicht abrücken. Damit ist die griechische Seite, ob zu Recht oder zu Unrecht, in einer stärkeren Position. In Athen wird jedoch bezweifelt, dass die Vereinigen Staaten den nötigen Druck ausüben werden, um die Türkei - aus geostrategischen Gründen der wichtigste Verbündete Washingtons in der Region - zu einer Aufweichung ihrer Haltung in dieser Frage zu bewegen.