fr, 3.12.99

"Geopolitische Abrundung"

Im Gespräch: Zöpel zur Zukunft der EU

In zehn Tagen berät die EU auf ihrem Gipfel in Helsinki über die nächste Etappe der Erweiterung. Über die "geopolitischen Abrundung" sprachen die Berliner FR-Korrespondenten Richard Meng und Knut Pries mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Christoph Zöpel.

Die Europäische Union ist "das erfolgreichste Friedensprojekt dieses Jahrhunderts". Daher, sagt Zöpel, müsse Ausgangspunkt aller Überlegungen die Frage sein, wie man die in Westeuropa erreichte Stabilisierung auf den Kontinent ausdehnen könne. Bei den aktuellen Beitrittskandidaten - Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien, Slowakei, Zypern und Malta - liege der Fall klar: Es gehe um die Aufnahme als Vollmitglieder. In diesem Zusammenhang wollen die Staats- und Regierungschefs in Helsinki beschließen, das bisherige Gruppen-Konzept aufzugeben und mit jedem Bewerber individuell über seinen Eintritt zu verhandeln. Zugleich soll der Startschuss zu einer Regierungskonferenz der 15 EU-Staaten fallen, um die notwendigen Voraussetzungen auf Seiten der Union zu schaffen: eine Reform der Kommission als exekutiver Spitze, eine stärkere Anpassung der Stimmgewichte im Ministerrat an die Bevölkerungszahlen der Mitgliedstaaten sowie eine weitere Zurückdrängung nationaler Vetorechte. Grundsätzlichere Reformen, wie sie eine "Weisen-Gruppe" unter Mitwirkung von Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker angeregt hat, hält Zöpel im Hinblick auf die Erweiterung nicht für zwingend erforderlich.

Auch deren nächste Runde - die Integration der Balkan-Staaten - sei vorgezeichnet und lediglich durch die Konflikte nach dem Zerfall Jugoslawiens verzögert: "Wenn das nicht wäre, müßte man mit denen verhandeln wie mit Rumänien oder Bulgarien." Die genaue Beitrittsperspektive der betreffenden Länder könne man erst mittelfristig definieren. Um die EU anschließend "geopolitisch abzurunden", werde man etwa zwei Jahrzehnte brauchen. Ob das auch die Türkei einschließen wird, hängt laut Zöpel in erster Linie von ihr selbst ab - ihrem Willen und ihrer Fähigkeit, die für alle geltenden Voraussetzungen tatsächlich zu erfüllen. Dass der Streit um den von Berlin angestrebten offiziellen Kandidaten-Status für Ankara vor dem Gipfel lauter werde, bedeute nicht, dass sich die Aussichten für den Beschluss verschlechtert hätten. Vorbehalte gebe es bei den Schweden und Finnen, "aber die größten Probleme haben die Griechen". Es sei legitim, dass Athen sein Bedürfnis nach Sicherheit geltend mache: Zum einen müßten die Türken bereit sein, den Disput über den Grenzverlauf in der Ägäis vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag klären zu lassen. Zum anderen gelte es, Ankaras Willen zum Kompromiss in der Zypernfrage abzusichern.

Die türkischen wie die griechischen Zyprioten sowie ihre jeweiligen Mentoren in Ankara und Athen sollen sich veranlasst sehen, bei den Verhandlungen über eine friedliche Überwindung der Teilung der Insel guten Willen zu zeigen. Über die entsprechenden Erwartungen der EU habe man sich bei den jüngsten deutsch-französischen Konsultationen auf "eine einvernehmliche Sprache" verständigt, sagt Zöpel. Als EU-Kandidat werde die Türkei durch das sogenannte Screening (die genaue Ermittlung ihres Aufholbedarfs) und durch regelmäßige "Fortschrittsberichte" einer kontinuierlichen Überprüfung auf EU-Tauglichkeit unterworfen. Ob das letztendlich zur vollen Mitgliedschaft führe, sei nicht ausgemacht. Entscheidend sei, "dass sich die Türkei viel intensiver als bisher damit befasst, ob sie es überhaupt schaffen kann und will". Dieselbe Wahl - Integration als Vollmitglied oder Assoziation als Partner - steht laut Zöpel der Ukraine offen.