jw, 2.12.99

Lebenslänglich nach dubiosen Aussagen

Hamburg: Staatsschutzsenat mit besonderem Verfolgungsinteresse gegen Funktionär der türkischen DHKP-C

Eigentlich konnte der 31jährige Zeuge am Dienstag vor dem Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg Interessantes berichten. Wußte er doch, was sich am 25. April 1997 vor dem Ege-Grill der Familie Kurt im Hamburger Stadtteil Wilhemsburg zugetragen hatte. Erol Kurt sei mit einer Schußwaffe in der Hand aus dem Wagen gesprungen, um in die Prügelei zwischen Anhängern der türkischen revolutionären DHKP-C und Mitgliedern der Familie Kurt einzugreifen. Erst danach sei der Schuß gefallen, an dessen Folgen Erol Kurt verstarb. So erzählten es zumindest Anhänger der türkischen »Grauen Wölfe« im Stadtteil, versicherte der Zeuge und bestätigte, daß Angehörige der Familie Kurt für diese faschistische Kampforganisation aktiv seien.

Das hätte eine Wende in dem seit Februar dieses Jahres andauernden Prozeß gegen den des Mordes an Erol Kurt angeklagten Ilhan Yelkuvan bedeuten können. Doch für das Gericht und den Vorsitzenden Richter Albrecht Mentz stand das Urteil zu diesem Zeitpunkt wohl schon fest. Und so verhängte der Staatsschutzsenat am Dienstag gegen den 33jährigen Funktionär der DHKP-C eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes und rechnete drei Jahre für die Beteiligung an der versuchten Geiselnahme eines Mitglieds des mit der DHKP-C verfeindeten Yagan-Flügels in Hamburg an.

Die Mordanklage stützte sich ausschließlich auf Indizien und die Aussagen von dubiosen Kronzeugen. Diese konnten keine konkreten Angaben darüber machen, ob Yelkuvan den tödlichen Schuß abgegeben hat. Vielmehr dienten diese Zeugen dem Gericht und der Bundesanwaltschaft dazu, die Gefährlichkeit der DHKP-C mit schaurigen Geschichten über Struktur und Vorgehensweise der Organisation zu belegen.

Auch Zeugen der Auseinandersetzung vorm Ege-Grill konnten Yelkuvan nicht als Täter identifizieren. Da war nur von einer »gewissen Ähnlichkeit« die Rede. Ein Zeuge gab vor Gericht an: »Die Polizei wollte unbedingt, daß ich jemanden erkenne, also habe ich den genannt.« Und bei einer kriminaltechnischen Untersuchung der Kleidung sowie der Hände des Verurteilten kurz nach der Tat wurden keine Schmauchspuren gefunden, die normalerweise beim Schußwaffengebrauch auftreten.

Das ganze Verfahren gegen Ilhan Yelkuvan war überhaupt nur durch angeblich vom Verfassungsschutz abgehörte Telefongespräche ins Rollen gekommen. In diesen Gesprächen nennen vermeintliche Mitglieder der DHKP-C einen gewissen Ismail als den Schützen, der Erol Kurt getötet habe, nachdem der mit einer Waffe hantiert habe.

Für den Staatsschutzsenat am OLG eine klare Sache: Ismail wird zu Ilhan Yelkuvan und die Waffe des Erol Kurt zum Handy. Der Angeklagte bestritt indes vor der Urteilsverkündung noch einmal vehement, der Todesschütze gewesen zu sein: »Ich sage es noch einmal: Ich bin nicht der Täter.« Außerdem erklärte er, daß diese Tat von der DHKP-C weder gewollt noch geplant gewesen sei. Eine Zusammenarbeit mit den Staatsschutzbehörden kam für ihn offensichtlich nicht in Frage.

Das Gericht quittierte diese Haltung mit Isolationshaft für die gesamte Verfahrensdauer. Bis zur Entscheidung über die von den Anwälten gegenüber jW bereits angekündigte Revision gegen das Urteil kann er nicht mit einer Verbesserung seiner Haftbedingungen rechnen. Deshalb befindet er sich seit Montag im Hungerstreik, um seine Verlegung in den Normalvollzug durchzusetzen.

Solidaritätsgruppen hatten während des Verfahrens immer wieder darauf hingewiesen, daß Haftbedingungen und Vorgehensweise des Staatsschutzsenats ein besonderes Verfolgungsinteresse widerspiegeln. Die Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters Mentz bestätigt durchaus diesen Verdacht. Gleich zu Beginn seiner Urteilsbegründung hatte er betont, daß Ilhan Yelkuvan bereits in seiner Heimat der DHKP-C angehört habe. Und die »versucht, das Parteiensystem in der Türkei abzulösen, und wird dementsprechend verfolgt«. Ob Richter Mentz mit »dementsprechend« Folter und extralegale Hinrichtungen meint, verriet er allerdings nicht.