Rheinische Post, 1.12.99

Menschenrechts-Gericht für Aufschub der Öcalan-Todesstrafe

Türkische Regierung kann dazu nicht gezwungen werden

Straßburg (dpa). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei zum Aufschub einer Hinrichtung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan aufgefordert. Zu diesem Ergebnis kam das Gericht am Dienstag in Straßburg nach Prüfung eines von den Anwälten Öcalans beantragten Dringlichkeitsverfahrens.

Die türkische Regierung kann zu diesem Aufschub nicht gezwungen werden. Der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit hatte jedoch seine Bereitschaft erklärt, das Grundrechtsurteil des Gerichtshofes für Menschenrechte abzuwarten.

Die Anwälte Öcalans hatten nach der Festnahme des Chefs der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Kenia im Februar eine Grundrechtsbeschwerde in Straßburg eingereicht. Darin werden der Türkei Verstöße gegen das Verbot der Folter, das Recht auf Leben, auf Freiheit und Sicherheit und auf ein faires Verfahren vorgeworfen. Bisher hat der Gerichtshof noch nicht über die Zulässigkeit dieser Beschwerde entschieden und auch noch keinen Termin dafür angesetzt. Mit einem Urteil wird möglicherweise im kommenden Jahr gerechnet.

Aus diplomatischen Kreisen im Ministerkomitee des Europarates hieß es, die Türkei akzeptiere den verlangten Aufschub gern, um auf diese Weise die Hinrichtung Öcalans zu vermeiden, die ihn in den Augen der kurdischen Bevölkerung zum Märtyrer machen würde. In der Türkei sind seit 1984 keine Todesstrafen mehr vollstreckt worden.

Die Todesstrafe verstößt gegen den Geist der europäischen Menschenrechtskonvention, die 1954 von der Türkei 1954 ratifiziert worden ist. Allerdings ist Ankara dem Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Kapitalstrafe nicht beigetreten und kann auch nicht dazu gezwungen werden.