jw, 26.10.99

Kommentar: Idiotisch, aber nützlich

Strategisches NATO-Interesse versus grünes Milieu.

Nicht allzu viele der über drei Millionen Wähler, die bei Bündnis 90/Die Grünen vor über einem Jahr ihr Kreuz malten, werden sich die Sache mit der ersten rot-grünen Bundesregierung so vorgestellt haben, daß mit ihrer Stimme der erste Angriffskrieg der Bundesrepublik Deutschland legitimiert wird. Aber demonstrieren, als es dann so weit war, auch noch gegen die »eigene« Regierung?

Das alles ist schon Geschichte, doch seit Tagen herrscht erneut Unruhe im grünen Milieu. Über tausend getötete Zivilisten in Jugoslawien, davon der größte Teil Frauen und Kinder - damit kann man leben, solange es noch Vollkornbrot und Weizenkeimlinge im Bioladen gibt und morgens die taz im Briefkasten steckt, in der alles so wunderbar mit den Menschenrechten erklärt wird. Wer wollte da etwas dagegen haben? Nun liegt die Sache aber anders. Mit der türkischen Regierung Panzergeschäfte vorzubereiten, berührt das Eingemachte - hatte man nicht sein halbes politisches Leben lang für die gerechte Sache des kurdischen Volkes eingestanden? Hatte Fischer nicht als Oppositionschef immer wieder die Kohl-Regierung wegen ihrer großzügigen Waffengeschenke an die Türkei kritisiert? War nicht überall zu lesen, was die türkischen Streitkräfte mit den geschenkten deutschen Panzern in kurdischen Dörfern anrichteten? Gibt es nicht eine rot-grüne Koalitionsvereinbarung, in der festgeschrieben ist, bei »Rüstungsexportentscheidungen den Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium« einzuführen? Eigentlich schon. Aber ach, dies gilt nur für Waffenexporte außerhalb der NATO und der EU - als ob auch in Deutschland jemand regieren dürfte, der sich gegen die strategischen Interessen der NATO - und der deutschen Wirtschaft - stellt. Natürlich haben auch die Grünen dieses nicht getan. Sie zetern und stellen der Türkei Bedingungen, die diese auch - zumindest dem Anschein nach - bald wird einhalten können.

Doch welche militärische Rolle die Türkei später an der Brücke zwischen Europa und Asien einmal spielen soll, ist kein Thema bei den grünen Protesten. Den Grünen geht es bei ihrem derzeitigen Theater - es ist sogar vom Ende der Koalition die Rede! - einzig um Gesichtswahrung, was man schon daran erkennen kann, daß Fischer selbst noch im vergangenen Sommer im Bundessicherheitsrat Verschärfungen der Rüstungsexport-Richtlinien abgelehnt hatte, die immerhin das SPD-geführte Entwicklungshilfeministerium gefordert hatte. Man wird wohl schnell eine Lösung finden: Die grüne Obermenschenrechtlerin Claudia Roth deutete bereits eine Kompromißlinie an: Die Grünen würden dann eben klarmachen, »daß ein Testpanzer noch kein Panzerdeal ist«. Idiotisch, aber nützlich.

Uwe Soukup