Wormser Zeitung, 28.7.

Abschiebung im Morgengrauen

Darf die kurdische Familie Cankardesler nicht in Deutschland bleiben?

KREIS - Seit Jahren lebt die Familie Cankardesler in Deutschland, die Kinder sind hier großgeworden. Jetzt stand morgens die Polizei vor der Tür: Abschiebung.

Von Wilhelm Schlieker

Es war morgens um Sieben, als sie kamen, um Frau Cankardesler und ihre vier Kinder abzuholen. Acht Uniformierte standen vor der Wohnungstür in der Geisenheimer Hospitalstraße. Cankardesler und die Kinder, 10, 13, 17 und 18 Jahre alt, wurden weggebracht zur Rüdesheimer Polizeistation. Nichts durften sie mitnehmen, keine Wäsche, kein Spielzeug, keine Medikamente, auf die die Mutter aufgrund ihrer Asthma-Erkrankung dringend angewiesen war.

Später erst konnte die 18jährige Can Cankardesler kurz zurück in die Geisenheimer Wohnung, eilig das Nötigste zusammenraffen, so erzählt sie. Dann wurden die Fünf - ohne den Vater - zum Frankfurter Flughafen geschafft: Abschiebung einer kurdischen Familie in die Türkei.

Zülküv Cankardesler lebt seit gut zehn Jahren in Deutschland, damals stellte er einen Antrag auf Asyl. Die Familie kam später aus Ostanatolien nach. Schon Zülküvs Vater hatte in Deutschland gearbeitet, war einer jener hochwillkommenen Gastarbeiter, die das deutsche Wirtschaftswunder ermöglichten. Auch einige Geschwister des Kurden leben in Deutschland, alle arbeiten, haben Aufenthaltsgenehmigungen und ein Dauerbleiberecht.

Befristete "Duldung"

Doch mit seinem Asylantrag hatte Zülküv Cankardesler wenig Glück. Er konnte den deutschen Behörden nicht glaubhaft machen, daß ihm in der Türkei politische Verfolgung drohe. Der Asylantrag des Kurden wurde abschlägig beschieden, aufgrund von Krankheit erhielt die Familie jedoch noch eine befristete "Duldung" zum Verbleib in Deutschland.

"Aber mein Vater würde in der Türkei sofort verhaftet", sagt die 18jährige Can Cankardesler. Doch als jetzt die Polizei kam war Vater Zülküv Cankardesler zufällig nicht Zuhause. Seine Frau erlitt auf dem Frankfurter Flughafen einen Asthma-Anfall, der Notarzt dort konstatierte: "nicht reisefähig" - ansonsten hätte sich Mutter Cankardesler mit ihren vier Kindern allein und mittellos in Ankara wiedergefunden.

Einer, der über diesen Hergang nur den Kopf schütteln kann, ist Peter Apel. Er führt die Peter Apel GmbH, eine Firma, spezialisiert auf Fußbodenbeläge und ist Zülküv Cankardeslers ehemaliger Chef. "Ich habe selten deutsche Arbeitskräfte mit solch einer Arbeitsmoral erlebt", lobt Apel seinen ehemaligen Mitarbeiter Zülküv Cankardesler in höchsten Tönen. Von 1992 bis 1997 war der Kurde bei Apel beschäftigt: "Sehr fleißig, zuverlässig in jeder Hinsicht, ein ehrlicher Mann", so Apels Urteil über den Handwerker aus der Türkei, für den in Deutschland nun kein Platz mehr sein soll.

Ohne Aufenthaltsgenehmigung keine Arbeitserlaubnis: Peter Apel tat es in der Seele weh, seinen besten Mann ziehen zu lassen: "Ich würde ihn sofort wieder einstellen", sagt er.

Mittel ausgeschöpft

Ob es dazu kommt, ist allerdings fraglich. Alle rechtlichen Mittel sind ausgeschöpft. Die Cankardeslers sind aus humanitären Gründen geduldet, doch diese Duldung begründet keinen Rechtsanspruch, kann jederzeit widerrufen werden, betont Rechtsanwalt Ernst Stumpf, dessen Kanzlei die Familie vertritt. Letzter Strohhalm, an den sich die Familie klammert, ist eine Petition, die jetzt an den Hessischen Landtag gehen soll.

Bis über diese Petition entschieden ist - was einige Monate dauern kann - wolle die Ausländerbehörde des Kreises keinen neuen Abschiebungsversuch veranlassen, berichtet Rechtsanwalt Stumpf. Aber auch darauf gebe es für Zülküv Cankardesler und die Seinen keinen Anspruch: "Reines Entgegenkommen der Behörde", so Stumpf.