junge Welt, 24.11.2000

Die UNO und der Zionismus

Die UN-Resolution von 1975, ihre Hintergründe und Haken. Von Norman Paech (*)

Die Kritiker, die in den Osloer Verträgen nie eine reale Friedensperspektive gesehen haben, sind leider nachhaltig bestätigt worden. Der lange beschworene »Friedensprozeß« ist zerstört und das Konzept von Camp David und Wye Plantation gescheitert. Der Druck der Amerikaner auf Arafat muß kaum zu ertragen gewesen sein: Der Präsident der Palästinenser klagte nachher, die zwei Wochen in Camp David seien für ihn schlimmer gewesen als die zwei Monate der Belagerung Beiruts und der israelischen Luftangriffe im Sommer 1982. In der Mangel von Clinton und Barak hatte er sich verzweifelt dagegen gewehrt, ein Besatzungsstatut als Friedensregelung anzuerkennen und auch noch zum langen Arm für dessen Durchsetzung degradiert zu werden.

Die UN-Menschenrechtskommission hat Israel eben jetzt zum wiederholten Mal wegen schwerer und massiver Verletzungen der Menschenrechte verurteilt, und die UN- Kommission für die Rechte der Palästinenser hat Israels Weigerung, die Normen des Völkerrechts zu beachten, für die aktuelle Situation verantwortlich gemacht - deutliche Hinweise auf die Gründe für die tägliche Gewalt. Währenddessen stochern deutsche Medien scheinbar blind in dem Desaster, verwechseln Opfer und Täter und retten sich in schlecht dosierte Schuldzuweisungen an Jerusalem und Ramallah. Letztlich bleibt die Verantwortung für das Scheitern an den Palästinensern hängen.

Da diese offensichtlich nicht bereit sind, den fortdauernden Zustand der Unterdrückung und Besatzung, der faktischen israelischen Kontrolle über ihre Lebensgrundlagen, die Zerstückelung ihres Territoriums durch die Siedlungen und die ständigen Provokationen der Siedler zu ertragen, wird der Aufstand weitergehen - es sei denn, die Israelis und Amerikaner begreifen, daß Nachbarschaft nicht unter den Stiefeln des Nachbarn gedeihen kann. Blicken wir in dieser Situation ohne Zukunft auf ein Ereignis zurück, das - um es vorwegzunehmen - auch keine Friedensperspektive eröffnet hat, aber doch einen Fingerzeig auf tiefere Gründe für die Dauer und die Gewalttätigkeit dieses schwierigsten aller gegenwärtigen Konflikte geben wollte.

»Form des Rassismus«

Vor 25 Jahren, am 10. November 1975, entschied die UNO- Vollversammlung so kurz und eindeutig wie selten zuvor: »Der Zionismus ist eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung.« Der Resolution stimmten 72 Staaten zu, 35 stimmten dagegen, 32 enthielten sich. Die Empörung der westlichen Regierungen war einhellig und der Vorwurf des weltweiten Antisemitismus überall. Der israelische UNO- Botschafter Chaim Herzog hatte während seiner Rede vor der Vollversammlung die Resolution mit den Worten zerrissen: »Für uns, das jüdische Volk, basiert diese Entschließung auf Haß, Lüge und Arroganz.« Und Ministerpräsident Yitzhak Rabin sagte die Beteiligung an der geplanten Genfer Nahostkonferenz unter Hinweis auf die Einladung der PLO ab, die er eine »Mörderorganisation« nannte.

Es war nicht das erste Mal, daß gegen den Zionismus der Vorwurf des Rassismus erhoben wurde. Doch die Übernahme dieses Urteils durch die UNO war ein bedrohlicher Vorgang für Israel. Und wie immer, wenn ein hoch komplexes und strittiges Problem auf einen kurzen Begriff gebracht werden soll, blockierten die Emotionen den nüchternen Blick auf den Inhalt der Aussage. Um den zu verstehen, muß man zunächst sehen, was die Resolution nicht war und was sie wirklich war: Sie war kein Angriff antisemitischer Staaten auf das Weltjudentum. Sie war kein Versuch der kommunistischen und »Dritte-Welt«-Staaten, sich der UNO zu bemächtigen oder sie zu zerstören. Und sie war nicht das Resultat des Stimmenkaufs durch die arabischen Ölstaaten. Die Resolution war vielmehr ein Ausdruck des Widerstands gegen Israels Weigerung, die 1967 besetzten Gebiete wieder herauszugeben und das palästinensische Volk zu akzeptieren; ein Versuch, Israel in der UNO zu isolieren, weil es bis dahin alle Resolutionen der Vollversammlung mißachtet hatte; Kritik an Israel als jüdischem Staat, der den Juden Privilegien vorbehielt, die er Nichtjuden verweigerte.

Dies ergibt sich nur mittelbar aus der Präambel der Resolution, in der die Vollversammlung an ihre Antirassismusdeklaration von 1963 anknüpft und den Satz zitiert, daß »jegliche Doktrin der rassischen Unterscheidung und Überlegenheit wissenschaftlich falsch, moralisch verwerflich und sozial ungerecht und gefährlich ist«. Des weiteren erinnert die Vollversammlung daran, daß nicht nur sie schon in den siebziger Jahren, sondern auch andere Organisationen und Konferenzen die unheilige Allianz zwischen der Apartheid im südlichen Afrika und dem Zionismus verurteilt und den imperialistischen Ursprung beider Ideologien angeprangert haben.

Das harte Vokabular hat einen doppelten Hintergrund. Zum einen die Erfahrung mit einem Israel, welches in der Tat enge Beziehungen zum Apartheidregime in Südafrika pflegte und sich darüber hinaus angewöhnt hatte, die Resolutionen und Verurteilungen der UNO zu mißachten. Diese hatte eine ständige Kommission eingerichtet, die die israelischen Praktiken in den besetzten Gebieten untersuchen sollte. Seitdem waren alljährlich Berichte über Menschenrechtsverletzungen erschienen, und Israel kletterte im Rang der am häufigsten von der UNO verurteilten Staaten an die Spitze - neben Südafrika. Doch Israel zeigte sich unbeeindruckt nach der Devise der ehemaligen Premierministerin Golda Meir: »Wenn eine Resolution nicht nach unserem Geschmack ist, was macht's? Schließlich ist sie kein Panzer, der auf uns feuert.«

Zum anderen hatte die UNO nach 1969 allmählich die Position des palästinensischen Volkes aufgewertet und sein Selbstbestimmungsrecht anerkannt. Im November 1974 hatte sie »die unveräußerlichen Rechte des Palästinensischen Volkes in Palästina« bestätigt: »das Recht auf Selbstbestimmung ohne äußere Einmischung und das Recht auf nationale Unabhängigkeit und Souveränität«. Im gleichen Monat hatte sie die PLO als Repräsentantin des Volkes von Palästina anerkannt und ihr einen Beobachterstatus gegeben.

»Judaisierung Galileas«

Die Waage hatte sich also trotz des Sieges der Israelis im Yom-Kippur-Krieg von 1973 über Ägypten und trotz der amerikanischen Unterstützung zur Seite der Palästinenser geneigt. Und doch gab es überhaupt keine realistische Aussicht auf einen Ausgleich der jüdischen und palästinensischen Interessen. Ja, es verstärkten sich die Anzeichen, daß nicht nur religiöse Kreise der zionistischen Bewegung auf eine Annexion des besetzten Westjordanlandes, des biblischen Judäa und Samaria, aus waren. Das erste programmatische Dokument der von Menachim Begin gegründeten Siedlerbewegung Gush Emunim forderte 1974: »Es ist notwendig, unverzüglich die jüdische Souveränität über alle Teile des Landes von Israel zu errichten, welches in unseren Händen ist, - über Judäa, Samaria, den Golan in seinen gegenwärtigen Grenzen, Gaza und weite Teile des Sinai.« Die besetzten Gebiete waren damit bereits als Teile Israels beansprucht, und Rabins Labour-Regierung tat nichts, um diesen Eindruck zu widerlegen. Im Gegenteil, ihre Siedlungspolitik nährte vielmehr die extremistischen Hoffnungen auf Annexion.

In dieser Situation machte die arabische Welt Front gegen die westliche Allianz um Israel. 23 arabische Staaten, zu denen sich Kuba gesellte, nahmen die Staatsideologie Israels, den Zionismus, aufs Korn. Der Vorwurf der rassischen Diskriminierung ließ sich an zahllosen Beispielen des alltäglichen Umgangs von Juden mit ihren arabischen Nachbarn in Israel belegen. Deshalb schrieb die New York Times einige Tage darauf: »Der schmerzvolle Punkt bei der UNO-Resolution über die Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus ist, daß sie ein Element der Wahrheit für sich at.« Juden aus aller Welt hatten ein Recht auf Einwanderung nach Israel, den palästinensischen Flüchtlingen aber wurde die Rückkehr in ihre Heimat verwehrt. Das Recht, überall in Israel zu leben, sich niederzulassen und ein Geschäft zu eröffnen, war nur der jüdischen, nicht aber der nichtjüdischen Bevölkerung gegeben. Das Prinzip der jüdischen Arbeit propagierte den Boykott arabischer Arbeitskräfte und die Förderung ausschließlich jüdischer Betriebe. Zu jener Zeit verschärfte der regierende Zionismus seine Kampagne gegen die Verpachtung von Weideland und Gärten an Araber.

Schwer diskriminiert wurden die israelischen Araber auch durch die Verhinderung arabischer Ansiedlung (im Namen der »Judaisierung Galileas«) und durch die Vertreibung von Moslems aus Jerusalem. Noch viel schärfer waren die Benachteiligungen in den besetzten Gebieten. Israel weigerte sich sogar, die Regeln der Genfer Konvention für Besatzungsmächte anzuerkennen.

Doch nicht die alltägliche Diskriminierung gab den Anstoß für die Resolution. Moshe Dayan, damals israelischer General, hatte schon 1969 den Kern der Sache getroffen: »Es ist nicht wahr, daß die Araber die Juden aus persönlichen, religiösen oder rassischen Gründen hassen. Sie betrachten uns, von ihrem Standpunkt aus zu Recht, als Westliche, Ausländer, Eindringlinge, die sich ein arabisches Land angeeignet haben, um es in einen jüdischen Staat zu verwandeln.«

Europäische Ideologie

Der zentrale Punkt in der israelisch-arabischen Auseinandersetzung war - und ist es auch heute noch -, daß der Zionismus und das Projekt des jüdischen Staates ausschließlich westliche, europäische Wurzeln haben. Ob es sich um den politischen oder religiösen Zionismus handelt, ob er von Juden europäischen, afrikanischen oder asiatischen Ursprungs vertreten wird, er ist eine zutiefst europäische Ideologie. Und damit sind auch seine kolonialistischen Züge unübersehbar, wie sie bereits in dem berühmten Buch des Begründers des politischen Zionismus Theodor Herzl »Der udenstaat« hervortraten: »Wir sollten dort (in Palästina) ein Stück des Bollwerks von Europa gegen Asien bauen, einen Vorposten der Zivilisation gegen das Barbarentum.«

Für lange Zeit hatte der Zionismus überhaupt die arabische Frage ignoriert und sich von Herzls Satz: »Ein Volk ohne Land in ein Land ohne Volk ringen« leiten lassen.

Kolonialtypische Situation

Der koloniale Hintergrund des Zionismus wurde bei jedem Schritt seiner politischen Umsetzung sichtbar und drängte sich besonders in Aktionen der Siedler in den Vordergrund. So schrieb Benjamin Beit-Hallahmi 1992 in seinen »Reflexionen über die Geschichte des Zionismus und Israel«: »Die zionistischen Siedler fühlten sich als Herren in der neuen alten Welt. Sie waren eine winzige Minderheit in Palästina, wie eine Diaspora; aber ungleich der Diaspora-Situation war hier die Mehrheitsbevölkerung nicht dominant ... Bevor die jüdischen Siedler nach Palästina kamen, waren sie in Europa Außenseiter gewesen. Hier waren sie Europäer und Herren, die die technologische Überlegenheit über die Eingeborenen genossen, die schwach, passiv und arm waren.«

Ganz unabhängig von allen biblischen oder mythischen Begründungen des jüdischen Siedlungsrechts war es diese Konfrontation zwischen europäischer Zivilisationsideologie und arabischer Realität, die die klassische Kolonialsituation von Diskriminierung und Gewalt hervorrief. Für die arabische Bevölkerung hat Israel nie seine koloniale Bestimmung abgelegt. Zahlreich sind die Äußerungen wie die von Ben Gurion: »Ich glaube an unsere moralische und intellektuelle Überlegenheit und an unsere Fähigkeit, als ein Modell der Errettung für die menschliche Rasse zu dienen.«

Sendungsbewußtsein, Siedlungsaktivitäten und Staatsgründung führten zwangsläufig zu den Widersprüchen, die Maxime Rodinson, Professor an der Pariser Sorbonne, so umreißt: »Der Wunsch, einen rein jüdischen oder vorwiegend jüdischen Staat in einem arabischen Palästina im 20. Jahrhundert zu schaffen, konnte zu nichts anderem als zu einer kolonial-typischen Situation und der ... Entwicklung eines rassistischen Bewußtseins und in letzter Konsequenz zu einer militärischen Konfrontation führen.« Rodinson sagt nicht, daß der Zionismus ein Rassismus sei, aber er sagt, daß er ihn notwendig hervorbringe. Dieses ist ein feiner Unterschied. Mögen auch viele zionistische Führer nicht von der Überlegenheit der Juden gesprochen haben, sie traten jedoch für einen Staat ein, in dem die Juden unausweichlich in einer überlegenen Position waren.

Als dann dieser Staat daran ging, sich neue Grenzen eines »Groß-Israel« zu schaffen, und alles darauf hindeutete, daß er sich diese Gebiete, die er nie als »besetzte«, sondern nur als »befreite« bezeichnete, endgültig einverleiben wollte, entlud sich die Ohnmacht des Protestes in der Resolution der UN- Vollversammlung vor nunmehr 25 Jahren.

Die Resolution war zweifellos politisch nicht sonderlich klug, sie war sogar kontraproduktiv, da sie die Haltung Israels und seiner stärksten Unterstützer verhärtete. Sie mag manchem arabischen oder europäischen Kritiker Israels Genugtuung verschafft haben, aber sie war ohne Perspektive und Lösungsansatz. Ein neues Hoffnungszeichen wurde vielmehr gerade dadurch aufgerichtet, daß mit der Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Israel nach dem zweiten Golfkrieg und der Eröffnung der Madrider Konferenz unter der Schirmherrschaft der USA und der Sowjetunion die Resolution im Dezember 1991 zurückgenommen wurde. Doch auch dieser Versuch eines Friedensprozesses ist nun gescheitert - womit sich nur noch einmal bestätigte, daß die UNO keinerlei Einfluß auf diesen Konflikt hat. Doch wenn sich die »Vermittlungen« der USA und der Europäer endgültig als untauglich herausgestellt haben, wird die UNO wohl als einziger echter Vermittler übrigbleiben: Für Konflikte dieser Art war sie 1945 geschaffen worden.

(*) Nachdruck aus »Ossietzky«, Heft 23 vom 18. November 2000. Die Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft ist zu beziehen über: Interdruck Berger GmbH, Ossietzky- Abo-Service, Vordere Schöneworth 21, 30167 Hannover, Tel. 0511/702526, Fax 0511/704483