Frankfurter Rundschau, 16.10.2000

Kein Geld, keine Notoperation

Schwangere in Izmir stirbt, weil ihr Mann nicht gleich bezahlen kann / Gesundheitsministerium: bedauerlicher Zwischenfall

Von Claudia Steiner (Istanbul/dpa)

Ohne Bezahlung verweigerten die Ärzte die Behandlung - im westtürkischen Izmir ist eine hochschwangere Frau gestorben, weil ihr Mann das Geld für eine Notoperation nicht dabei hatte. Eigentlich haben in der Türkei auch Nichtversicherte das Recht auf kostenlose Behandlung. Liegt ihr Einkommen unter dem Existenzminimum, können sie eine so genannte Grüne Karte beantragen und werden dafür in staatlichen Krankenhäusern kostenlos behandelt. In dringenden Fällen ist man allerdings schlecht beraten, in eine der überlasteten staatlichen Kliniken zu gehen: Dort warten die Kranken manchmal Stunden oder sogar Tage auf einen Termin.

Wie türkische Zeitungen berichteten, starb die 31 Jahre alte Frau aus Izmir, nachdem sie mehrere Krankenhäuser abgewiesen hatten. Bei einem Krankenhaus war gerade kein Arzt zur Stelle, ein anderes hatte die im achten Monat Schwangere nach Hause geschickt, weil die Zeit der Niederkunft noch nicht gekommen sei. Erst im dritten Krankenhaus erkannte man, dass das Ungeborene gestorben war und eine Notoperation notwendig war. Allerdings wollten die Ärzte bereits vor der Operation 700 Millionen Lira (rund 2350 Mark) kassieren - für einfache Arbeiter sind dies mehrere Monatseinkommen. Weil der Ehemann nicht so viel Geld bei sich hatte, wurde die Frau erneut abgewiesen und starb auf dem Weg in ein anderes Krankenhaus.

"Verbrechen" titelte die Zeitung Radikal. Der Fall zeige, wie sich die Ärzte an den hippokratischen Eid hielten. Außerdem werde deutlich, wie ernst die Beteuerung der Behörden genommen werden könne, dass auch diejenigen, die kein Geld haben, nicht von Krankenhäusern abgewiesen werden dürfen. "Gesundheitstragödie", schrieb Sabah.

Gesundheitsminister Osman Durmus nannte den Tod der jungen Frau einen "bedauerlichen Zwischenfall" und kündigte Ermittlungen an. Zwar hat sich das Gesundheitssystem in der Türkei in den vergangenen Jahren verbessert, doch solche Tragödien sind kein Einzelfall: Alle paar Monate berichten türkische Medien über abgewiesene Patienten und unverantwortliche Ärzte.

Im vergangenen Jahr war eine junge Frau kurz nach der Geburt ihres Kindes verblutet, weil zwei Istanbuler Privatkliniken die Patientin nicht behandelt hatten - auch sie hatte kein Geld. Im dritten Krankenhaus war die 28-Jährige gestorben. Für Aufsehen sorgte auch ein anderer Fall: Ein Arzt, der einem Mann einen fast abgetrennten Finger wieder angenäht hatte, trennte die Naht teilweise wieder auf, nachdem er erfahren hatte, dass der Patient nicht für die gesamte Leistung zahlen konnte.

Die Kluft zwischen Arm und Reich spiegelt sich im türkischen Gesundheitswesen besonders deutlich wider. Mittellose sind auf die oft schlecht ausgestatteten staatlichen Krankenhäuser angewiesen. Sie warten in langen Schlangen auf unterbezahlte und überarbeitete Ärzte. Bei dem schlechten Gehalt haben die meisten Ärzte einen Zweitjob in einer Privatpraxis, bei Pharmafirmen oder als Notfallarzt in großen Hotels.

Wohlhabende Bürger haben dagegen alle Möglichkeiten in privaten Luxuskliniken. Private Kliniken werben unter anderem mit den neuesten technischen Geräten, international ausgebildeten Spezialisten und Krankenzimmern mit Kabelfernsehen und Bosporus-Blick.