SPIEGEL online, 30.9.2000

RAKETEN AUF DEUTSCHLAND

Stoiber entwirft Horrorszenarien

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber kritisiert die Sicherheitspolitik der Bundesregierung. Das Bedrohungspotenzial Rußlands und die Gefahr von Raketenangriffen aus dem Irak, Iran oder Indien werde unterschätzt.

München - Beim Kongress des Wehr- und Sicherheitspolitischen Arbeitskreises der CSU in München warf Stoiber der Bundesregierung vor, neue außenpolitische Sicherheitsrisiken zu missachten. Die Regierung "beurteilt die Sicherheitspolitik vorwiegend am Maßstab der Kassenlage, anstatt den Bedrohungspotenzialen angemessen zu begegnen", sagte Stoiber. Seiner Meinung nach könne Deutschland schon bald in der Reichweite von Raketen aus dem Irak und Iran, Libyen, Pakistan oder Indien liegen. "Die Vorstellung, Städte wie München oder Berlin könnten mit Nervengas beschossen werden, ist leider längst keine Utopie mehr", gab der bayerische Ministerpräsdent zu bedenken. US-Experten gingen zudem davon aus, dass der Iran schon 2005 über eine eigene Langstreckenrakete verfügen könne, die tauglich sei, atomare, chemische oder biologische Waffen bis nach Mitteleuropa zu tragen. Auch von einem instabilen Russland könnte eine Gefahr ausgehen, so Stoiber. Das Land müsse mit großen Schwierigkeiten fertig werden, sei aber immer noch eine Großmacht mit ungeheurem militärischen Potenzial. "Es wäre für ganz Europa verhängnisvoll, wenn dieses militärische Potenzial wieder zu einer Bedrohung für uns würde", sagte der CSU-Chef.

Stoiber versäumte es auch nicht, insbesondere die Bundeswehrreform von Verteidigungsminister Rudolf Scharping zu kritisieren. Sie basiere auf einer "gravierenden Fehlkalkulation", sagte der Ministerpräsident. Er bemängelte, dass die Anschaffung des Eurofighters und des Militärhubschraubers NH-90 bis 2012 über zwei Drittel der planerisch verfügbaren Mittel binden.

Die Reform sei zudem nicht zukunftsfähig, da die Zahl der Haushaltsrisiken unübersehbar sei, erklärte Stoiber. Er befürchtet, dass Scharping entweder die Sollstärke von 255.000 Soldaten reduzieren oder die meisten Großprojekte kippen müsse. Dies werde zu Unzufriedenheit in der Truppe führen. "Deutschland wird seinen Verpflichtungen nicht gerecht, dementsprechend wird Deutschlands Einfluss in NATO und EU sinken", sagte Stoiber. Das sei unverantwortlich.