Neue Zürcher Zeitung (CH), 30.09.2000

Menschenrechtskonvention als Teil der EU-Charta?

uth. Strassburg, 29. September

Zwei Wochen vor dem Sondergipfel der EU in Biarritz und der geplanten Annahme einer EU-eigenen Charta der Grundrechte hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats die Union eindringlich zum Beitritt zur europäischen Menschenrechtskonvention aufgefordert. Ein solcher Schritt, der auch vom Europäischen Parlament, von der EU-Kommission und dem Strassburger Gerichtshof für Menschenrechte unterstützt wird, sei der sicherste Weg, um neue Trennlinien in Europa und eine Schwächung des in fünf Jahrzehnten aufgebauten Schutzsystems für Menschenrechte auf dem europäischen Kontinent zu vermeiden. Die europäische Menschenrechtskonvention gilt sowohl in den 15 EU-Staaten als auch in den übrigen 26 Ländern des Europarats. Während die Europaratskonvention allen Bürgern, die sich in ihren Grundrechten verletzt fühlen, ein individuelles Klagerecht garantiert, droht durch die EU-Charta, über deren Auslegung der EU-Gerichtshof in Luxemburg entscheiden wird, die Gefahr, dass zwei Kategorien von Bürgern geschaffen werden, die unterschiedliche Rechte in Anspruch nehmen könnten.

Um dies zu vermeiden, schlagen die Europarats-Parlamentarier vor, die Konvention in die EU-Charta zu integrieren. Damit sollen einerseits auch den EU-Bürgern die in der Charta fehlenden fundamentalen Rechte, wie der Schutz des Lebens oder das Prinzip der Unschuldsvermutung, garantiert werden. Andererseits sollen EU-spezifische Rechte, wie das Recht auf geistige und körperliche Unversehrtheit, einschliesslich des Verbots eugenischer Praktiken, oder der Schutz persönlicher Daten und nicht zuletzt der Anspruch auf eine gute Verwaltung, gewahrt werden.

Die Parlamentarische Versammlung stellt fest, dass es keinen legitimen Grund dafür gebe, dass von der EU durchgeführte Massnahmen im Gegensatz zu denen der Mitgliedstaaten von den grundlegenden externen Kontrollmechanismen ausgeschlossen sein sollen, wodurch die EU-Bürger, die durch die Union in ihren Grundrechten und -freiheiten beeinträchtigt werden, dem Schutz der Menschenrechtskonvention entzogen würden. Sie fordert die 41 Aussenminister des Europarats auf, bei der EU nachdrücklich auf einen Beitritt zur Konvention zu drängen.