Die Welt, 30.9.2000

Koch droht mit Türkei-Kampagne

Nach dem hessischen Ministerpräsidenten soll Rot-Grün die EU-Erweiterung am Bosporus im Konsens mit der Union betreiben

Von Peter Scherer

Wiesbaden - Der hessische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Roland Koch hat die Bundesregierung davor gewarnt, der Türkei Hoffnung auf eine schnelle Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu machen. In einem Interview mit der "Rheinischen Post" sagte Koch, wenn die Regierung den EU-Beitritt der Türkei weiter vorantreibe, könne dies "jederzeit zu einem Wahlkampfthema werden". In Bezug auf Europa müssten alle Parteien gemeinsam die Menschen überzeugen. Aber wenn die Bundesregierung in dieser Frage Eigenprofilierung wichtiger als Konsens sei, könne es auch zum Streit kommen. Und darauf, wie sich ein gesellschaftspolitischer Streit populistisch instrumentalisieren lässt, versteht sich der 42-jährige Hesse wie kaum ein anderer in der Liga der Politprominenz. Sein Paradestück als "Meister der Kampagne" hatte Koch bekanntlich im Wahlkampf zur Landtagswahl 1999 abgeliefert. Mit einer spektakulären Unterschriftenaktion gegen eine generelle doppelte Staatsbürgerschaft für Ausländer ebnete er sich damals den Weg zum Machtwechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb in Hessen. Dass ihm dabei vom politischen Gegner ein "schmutziges Spiel" mit ausländerfeindlichen Ressentiments vorgehalten wurde, ließ Koch nicht gelten. Er hielt sich lieber an das Motto: Der Sieger hat immer Recht.

Und das will er wieder werden, wenn alle Feuer der CDU-Finanzaffäre verraucht sind - ein Sieger in der deutschen Politik. Denn Koch ist sich sicher: Ihn werden die von der rot-grünen Opposition und ihren publizistischen Hilfstruppen geschürten Flammen nicht verzehren.

Schon seit Wochen drängt er deshalb wieder mit Macht zurück in den großen politischen Diskurs der Republik. Dass die juristische und parlamentarische Aufarbeitung der geheimen Finanzgeschäfte der Hessen-Union noch längst nicht abgeschlossen ist, scheint ihn dabei nicht zu stören. Der 42-jährige einstige Hoffnungsträger der Union will jetzt wieder dort anknüpfen, wo ihn vor der Affäre Freund und Feind angesiedelt hatten: auf der Karriereleiter zur Kanzlerkandidatur. Endgültig Schluss soll sein mit seiner Regentschaft als deutscher Schlagzeilenkönig in der CDU-Finanzaffäre.

Koch köchelt an neuen Gerichten: Als erster Landesverband der CDU hat er die Hessen-Union vergangenes Wochenende zu einer Unterschriftenaktion gegen die Ökosteuer auf die Straße geschickt, um aller Welt vor Augen zu führen: Meine Partei ist auch in der Krise voll "kampagnenfähig". Auf Anhieb 22 000 Unterschriften, das sei ein "deutliches Signal und ein unübersehbarer Beweis für die Gefühlslage der Menschen", so der hessische Kampagnen-General.

Aber noch etwas schwingt da im lautstarken Come-back-Versuch Kochs mit. Ein Stück unausgesprochener Kritik an der Bundesspitze der Christlich Demokratischen Union Deutschlands nämlich, über die der Taktiker Koch öffentlich freilich nie ein böses Wort verlieren würde. Gleichwohl erscheinen die politischen Muskelspiele des Hessen wie eine direkte Antwort auf ein nicht nur von Koch in der Führungsspitze seiner Partei ausgemachtes inhaltliches und operatives Vakuum, das zu demonstrativen Eigenleistungen geradezu herauszufordern scheint. Motto der Vorführung: So wird's gemacht. Nächste Vorstellung: Die Türkei und die EU.