Frankfurter Rundschau, 30.9.2000

"Sie wollten mich in meiner Würde verletzen"

Deutschkurde zeigt Polizisten wegen Misshandlung an

Von Carla Ihle-Becker

Drei Beamte einer Zivilstreife sollen einen Deutschkurden bei einer Personenkontrolle beleidigt, gewaltsam entkleidet und verletzt haben. Die beschuldigten Polizisten widersprechen. Nach ihrer Darstellung soll sich der Mann der "erkennungsdienstlichen Behandlung" widersetzt haben.

ALSFELD. Azad B. ist nach eigenen Angaben am 9. September auf der Autobahnraststätte Alsfeld-West (Pfefferhöhe) von einer Zivilstreife der Polizei angehalten worden. Die Familie von B., die im Wagen saß, ist dabei Zeuge der folgenden Vorgänge geworden: Als B. sich bei den Beamten nach dem Grund der Kontrolle erkundigt hätte, sei ihm von einem Polizisten in harschem Ton befohlen worden: "Halt dein Maul, du redest nur, wenn ich es erlaube!" Im weiteren Verlauf sei er gegen sein Auto geschleudert und geschlagen worden, wobei einer der Beamten ihn und seine Familie dabei als "Scheißkanacken" und "Drecksäcke" beschimpft habe. Unter weiterer Gewaltanwendung hätten die Beamten ihn festgenommen, obwohl er und seine Familie gültige Personalausweise und Führerschein vorgelegt hätten. Auf dem Weg zur Wache in Alsfeld hätten die Beamten auf seinen Protest hin erklärt: "Für dich gelten keine Rechte." Er solle still sein, sonst bekäme er "eine aufs Maul".

Bei den erkennungsdienstlichen Maßnahmen auf der Wache seien die Einschüchterungen und Demütigungen weitergegangen, gibt Azad B. in seiner Strafanzeige gegen die Beamten an. So hätten die Polizisten gedroht, sein Gesicht in Tinte zu tauchen, um einen Nasenabdruck zu nehmen. Ein Anruf bei seinem Rechtsanwalt sei B. mit der Begründung verweigert worden, er habe hier keine Rechte. Die Beamten hätten gedroht, er werde sein Brillenglas im Auge wiederfinden und seine Gewichtsangabe, die um ein Kilo von seinem tatsächlichen Gewicht abwich, werde als Lüge bezeichnet.

Als er nach einer Aufforderung der Beamten, sich auszuziehen, gezögert und erfolglos nach einer Begründung gefragt habe, habe ein Beamter ihm das Hemd zerrissen. Nach seiner gewaltsamen Entkleidung habe er geblutet.

Seine Narben und Muttermale seien gezählt, sein Oberkörper fotografiert und seine Blinddarmnarbe begutachtet worden. "Hast du eine Narbe am Arsch?", soll einer der Beamten dabei gefragt haben. Die Polizisten hätten sich während der Prozedur über seine gut sitzende Kleidung und seine Markenunterwäsche unterhalten, gibt B. weiter an. Um seine Verletzungen dokumentieren zu lassen, begab B. sich sofort nach seiner Entlassung aus dem Revier ins nahe gelegene Alsfelder Krankenhaus. Dort wurden ihm frische Schürfwunden und Prellungen bescheinigt.

B., der in Hamburg als freier Journalist arbeitet und gerade an seiner Promotion schreibt, sagte der FR, er sei noch niemals zuvor in Deutschland derartig behandelt worden und regelrecht geschockt gewesen. "Diese Polizisten wollten mich in meiner Würde verletzen - und das haben sie auch geschafft!" Am Donnerstag (28. September) hat B. über seine Hamburger Anwältin Anzeige gegen die drei Beamten wegen Beleidigung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung im Amt gestellt. Auf die Frage, warum ihr Mandant mit dieser Reaktion zwei Wochen gewartet habe, sagte Anwältin Gabriele Heinecke der Frankfurter Rundschau, dafür sei sie - nicht ihr Mandant - verantwortlich.

"Das ist gesetzlich gedeckt"

Ihrer Erfahrung nach habe ein Ausländer vor Gericht nur geringe Chancen, seine Version gegen die von Polizeibeamten als glaubwürdig zu vertreten, wenn seine Zeugen ausschließlich aus Familienmitgliedern bestünden. Deshalb habe sie zunächst als Rechtvertreterin von B. an die Alsfelder Polizei geschrieben und den Grund der Festnahme und der erkennungsdienstlichen Maßnahmen erfragt. Bis heute sei darauf keine schriftliche Antwort erfolgt. Bei einer telefonischen Nachfrage der Anwaltskanzlei bei einem der drei betreffenden Beamten sagte der Polizist, es habe sich um eine "verdachtsunabhängige Kontrolle" gehandelt. An der Raststätte Pfefferhöhe wäre immer viel los, deshalb würden dort öfter Kontrollen durchgeführt.

Nach Angaben des Leiters der Kriminalpolizei in Alsfeld, Matthias Weber, haben die drei Beamten ihrerseits Anzeige erstattet, weil B. sich den polizeilichen Maßnahmen widersetzt, die Beamten beleidigt und einen von ihnen verletzt habe. Bei der Staatsanwaltschaft Gießen liegen demnach zwei Anzeigen vor - die zweite beziehe sich auf "passiven Widerstand B.s bei der erkennungsdienstlichen Behandlung". Auf die Frage, warum B. sich auf der Wache habe ausziehen müssen, sagte Weber der FR: "Das ist gesetzlich gedeckt." Da er seine Beamten als ruhig und besonnen kenne, hielte er die Vorwürfe von B. für abwegig, erklärte Weber. Einer Überprüfung der Vorfälle sähen er und seine Kollegen mit Gelassenheit entgegen, sagte Weber.