Süddeutsche Zeitung 30.09.2000

Nach dem Mittagsgebet auf dem Tempelberg

Fünf Palästinenser in Jerusalem getötet

Israelische Polizei erschießt Steinewerfer / Nahost-Gespräche ergebnislos beendet

Jerusalem (AP/dpa/AFP) – Bei Ausschreitungen auf dem Jerusalemer Tempelberg sind am Freitag fünf Palästinenser getötet worden. Viele Polizisten und Demonstranten wurden verletzt. Dies teilten palästinensischen Behörden mit. Nach dem Mittagsgebet verließen tausende Gläubige die Moscheen. Einige von ihnen bewarfen die Polizei mit Steinen. Die Polizei zog sich zunächst zurück, trieb die Menge aber dann mit Gummigeschossen auseinander und drang in eine der beiden Moscheen ein. Bereits am Donnerstag war es zu Ausschreitungen gekommen, nachdem der israelische Oppositionsführer Ariel Scharon den Tempelberg besucht hatte. Die Palästinenser machten Scharon auch für die gewaltsamem Auseinandersetzungen verantwortlich.

Bei einer Schießerei im Westjordanland wurde ebenfalls am Freitag ein israelischer Polizist getötet. Ein bewaffneter Mann eröffnete in der Nähe der Stadt Kalkilja das Feuer auf ein Polizeifahrzeug. Ein weiterer Soldat wurde verletzt. Die palästinensischen Behörden erklärten, bei dem Angreifer handele es sich um einen palästinensischen Polizisten. Israelische Soldaten berichteten, der Mann habe plötzlich auf den Wagen geschossen. Ein Polizeisprecher erklärte, der Angriff sei nicht provoziert worden. Israelische Soldaten riegelten Kalkilja ab; die Region befindet sich unter gemeinsamer Kontrolle von Israelis und Palästinensern. Kalkilja untersteht der palästinensischen Autonomiebehörde. Erst am Mittwoch war im Gaza-Streifen ein israelischer Soldat getötet worden.

Ohne sich einen Schritt näher gekommen zu sein, beendeten israelische und palästinensische Unterhändler unterdessen ihre dreitägigen Gespräche in Washington. Über den Inhalt der Verhandlungen wurde zunächst nichts bekannt. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Philip Reeker, sagte lediglich, die beiden Verhandlungsdelegationen hätten sich getrennt mit den US-Vermittlern getroffen. Aber es hätte auch direkte Kontakte gegeben. Amerikanische Kompromissvorschläge seien nicht unterbreitet worden.

Hauptstreitpunkt der Friedensverhandlungen ist die Frage nach dem künftigen Status von Jerusalem. Beide Seiten beanspruchen Jerusalem als ihre Hauptstadt. In einem Zeitungsinterview sicherte der israelische Ministerpräsident Ehud Barak erstmals öffentlich zu, dass Jerusalem gleichzeitig Hauptstadt Israels und eines künftigen Palästinenserstaats sein könnte.