junge Welt 29.09.2000

Eindeutiger Antisemitismus

Seit Kriegsende 1000 Schändungen jüdischer Friedhöfe in Deutschland

In dieser Woche wurde am Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam eine Studie des 1924 in Chemnitz/Sachsen geborenen Autors Adolf Diamant vorgestellt. Diamant dokumentiert darin die bekanntgewordenen Schändungen jüdischer Friedhöfe in Deutschland von 1945 bis 1999. Seine Quellen sind Berichte des Innenministeriums, Zeitungsmeldungen, Publikationen anderer Autoren sowie Mitteilungen von Friedhofsangestellten. In seinem Privatarchiv hat er rund 300000 Archivalien zusammengetragen. Detailliert listet Diamant Datum, Ort und Art der Schändung, Täter, soweit bekannt, und seine Quellen auf.

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges sind nach Diamants Forschungen etwa 1000 jüdische Friedhöfe geschändet worden. Dabei erhebt die Studie allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit, viele Schändungen von jüdischen Friedhöfen werden stillschweigend umgehend beseitigt, ohne daß Strafanzeige erteilt wird. Eine Informationspflicht an die zuständigen Behörden besteht nicht. Von einer hohen Dunkelziffer ist daher auszugehen.

Das Ende der Barbarei des Nationalsozialismus bedeutete keinesfalls das Ende des Judenhasses. So wurden zwischen 1945 und 1948 in Deutschland 26 jüdische Friedhöfe geschändet. Seit Mai 1945 kam es mehr oder weniger kontinuierlich zu solchen Anschlägen. In den 50er und 60er Jahren kam es durchschnittlich zu ca. zehn, in den 70er Jahren zu ca. 19, in den 80er Jahren zu knapp 17 Schändungen jüdischer Friedhöfe pro Jahr. Seit der Wiedervereinigung 1990 hat die Zahl hingegen stark zugenommen, im Durchschnitt kam es in den 90er Jahren jährlich zu ca. 40 Schändungen. Leider ist der Studie von Diamant nicht problemlos zu entnehmen, wie sich die Häufigkeit der Friedhofsschändungen in BRD und DDR unterscheiden. In seiner Tabelle führt er zwar Fälle in Karl-Marx-Stadt, Halle, Berlin-Ost u.a. auf, ein Vergleich zwischen den beiden deutschen Staaten ist aber so kaum möglich. Dies liegt auch daran, daß die Angaben über Friedhofsschändungen in der DDR stark schwanken. Die Angaben über die Anzahl von 1945 bis 1980 liegt z.B. zwischen 26 und 100. Erst ab 1989 läßt sich genauer sagen, daß in den neuen Bundesländern von Ende 1989 bis zum 31.12.1999 rund 75 Fälle gegenüber rund 270 Fällen in den alten Bundesländern registriert wurden. Bei der regionalen Verteilung fällt auf, daß gerade dort eine besonders hohe Zahl von Schändungsfällen zu verzeichnen ist, wo ausgeprägt völkische und antisemitische Einstellungen, wie in den bäuerlich und kleinbürgerlich geprägten Regionen Hessens, eine lange Tradition haben.

In einem Vergleich zwischen der Schändung christlicher und jüdischer Friedhöfe läßt sich feststellen, daß der Anteil der geschändteten jüdischen Gräber bezogen auf die geringe absolute Anzahl jüdischer Gräber erschreckend hoch und mit weit größeren Zerstörungen verbunden ist. Die Zahl jüdischer Friedhöfe, 1300 in den alten, 200 in den neuen Bundesländern, macht nur einen geringen Bruchteil aller Friedhöfe in Deutschland aus. Interessant ist, daß es mehrere große Versicherungsgesellschaften in Deutschland ablehnen, Grabstellen auf jüdischen Friedhöfen gegen Schändungen zu versichern.

Die Täter bleiben in den meisten Fällen unerkannt. Diamant kommt zu dem Schluß, daß kaum ein Drittel der Friedhofsschänder gefaßt und von Gerichten abgeurteilt worden sind. Das Bundesministerium des Innern beteiligt sich dabei an der Verharmlosung dieser Taten. In die Statistik rechtsextremistischer Straftaten wird die Schändung jüdischer Friedhöfe nur aufgenommen, wenn sie einen »eindeutig« rechtsextremistischen Hintergrund aufweisen. »Wenn z.B. Grabsteine umgeworfen oder zerstört werden, ist dies für den Bundesminister des Innern (BdI) noch kein Beweis, daß eine rechtsextremistische Handlung vorlag. Derartige Schändungsfälle werden nicht in den Berichten des BdI aufgeführt.« Diese Vorgehensweise ist in höchstem Maße ignorant, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno haben schon in den 40er Jahren argumentiert, daß »die Verwüstung der Friedhöfe keine Ausschreitung des Antisemitismus [ist], sie ist er selbst«. Das heißt, bezogen auf die Kategorisierung des BdI, es braucht kein wie auch immer geartetes antisemitisches Motiv, um einen jüdischen Friedhof zu schänden, die Schändung eines jüdischen Friedhofes ist per se antisemitisch.

Andreas Klärner

*** Adolf Diamant: Geschändete jüdische Friedhöfe in Deutschland 1945 bis 1999. Verlag für Berlin-Brandenburg, ISBN 3-935035-03-9, DM 29,80