Frankfurter Rundschau, 29.9.2000

Bundestag stellt sich gegen Rechtsextreme

Thierse fordert von Bürgern "alltäglichen Anstand"

Von Helmut Lölhöffel

Gegen rechtsextreme Gewalt wollen alle Parteien im Bundestag zusammenstehen. Bei weitgehend übereinstimmenden Einschätzungen gibt es nur in Einzelfragen abweichende Positionen.

BERLIN, 28. September. In einer Bundestagsdebatte über den Rechtsextremismus war am Freitag in Berlin das Bemühen um eine gemeinsame Grundhaltung erkennbar. Über die Wirkung eines möglichen Verbots der NPD waren sich die Redner nicht einig. Die Unionsparteien wollten über Rechts- und Linksextremismus zusammen diskutieren, doch SPD, Grüne und PDS wehrten sich gegen diese Gleichsetzung.

In einer mit Beifall aus allen Fraktionen aufgenommenen Rede sagte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), es gehe nicht mehr um ein Randphänomen, sondern die Gefährdung reiche bis in die Mitte der Gesellschaft. Ausländerfeindlichkeit sei bei nicht wenigen Menschen ein fast selbstverständlicher Teil des Alltagsbewusstseins. Dem gegenüber stünden vielfältige Initiativen und Aktionen gegen rechts, deren Wirken Thierse "alltäglichen demokratischen Anstand" nannte. Sie müssten gestärkt werden.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bekräftigte die Entschlossenheit der Bundesregierung, sich aktiv gegen rechts zu wehren. Dabei seien langfristige und zielgenaue Strategien und präventive Konzepte nötig. Schily wiederholte seine Anregung, über Zuwanderung "tabufrei" zu diskutieren. Es müsse möglich sein zu sagen: "Das Zusammenleben mit Ausländern ist schwierig und anstrengend." Für diese Passagen bekam er Beifall von CDU/CSU.

Schily nahm Bayerns Innenminister Günter Beckstein (CSU) in Schutz. Dieser dürfe nicht "in die Nähe eines Rassisten" gerückt werden. Beckstein bestand darauf, es müsse möglich sein, "wertkonservative Haltungen" zu vertreten und über Fragen zu sprechen, "die die Bevölkerung bewegen", ohne gleich rechtsaußen eingeordnet zu werden. Ausführlich begründete er, warum er ein NPD-Verbot befürwortet. Er beschwerte sich, dass die Bundesregierung das von ihm gesammelte Beweismaterial nicht ernst nehme.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) unterstützte den Verbotsantrag. Er wandte sich gegen "Extremismus in jeder Form". Cem Özdemir (Grüne) warnte vor allzu hohen Erwartungen an ein NPD-Verbot und widersprach ebenso wie Ulla Jelpke (PDS) der Gleichstellung von Links- und Rechtsextremismus.

Grünen-Fraktionssprecherin Kerstin Müller wandte sich gegen sprachliche "Signale" an Rechte, wozu sie auch den von Schily verwendeten Begriff der "tabufreien" Diskussion zählte. FDP-Redner Guido Westerwelle mahnte, nicht jeden Diskussionsbetrag als "Stichwortgeber" zu verteufeln. In der Debatte wurde von mehreren Rednern Bezug auf die Liste der Opfer rechtsextremer Gewalt genommen, die die FR veröffentlicht hatte.

Die großen Religionsgemeinschaften riefen zum Tag der Deutschen Einheit in einer gemeinsamen Erklärung zu Initiativen gegen Rechtsextremismus auf.