junge Welt, 29.09.2000

Interview

Darf der Bundesgrenzschutz Geld von Flüchtlingen beschlagnahmen?

junge Welt sprach mit Brigitte Kiechle

* Brigitte Kiechle ist Rechtsanwältin in Karlsruhe

F: In diesem Sommer wurden in Karlsruhe mindestens zwei Fälle bekannt, in denen Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) Asylbewerbern bei »verdachtsunabhängigen Kontrollen« im Hauptbahnhof bis auf 80 Mark den gesamten Bargeldbestand abgenommen haben. Einem türkischen Asylbewerber mit einer Arbeitserlaubnis wurden 1800 Mark entwendet, einem iranischen Asylbewerber 220 Mark. Handelt es sich um Einzelfälle?

Mir selber sind zwei Fälle bekannt. Dabei handelt es sich um Mandanten von mir. Ich gehe allerdings davon aus, daß sie nur ein Teil der tatsächlich vorgekommenen Fälle sind. Der BGS selbst hat mitgeteilt, daß dies zur Zeit gängige Praxis sei.

F: Auf welcher Rechtsgrundlage haben die Beamten des BGS gehandelt?

Der BGS behauptet, diese Beschlagnahmepraxis sei mit dem Paragraph 7 des Asylbewerberleistungsgesetzes abgedeckt. Danach sind Asylbewerber verpflichtet, ihr Einkommen für die Kosten von Verpflegung und Unterkunft in den staatlichen Sammellagern auszugeben. In Baden- Württemberg steht nach diesem Gesetz jedem Asylbewerber ein Taschengeld von 80 Mark zu. In Wirklichkeit hat der BGS keine Rechtsgrundlage, Geld von Flüchtlingen oder Asylbewerbern einzuziehen. Darüberhinaus gibt es in keiner Form eine Rechtfertigung, wenn es sich um Flüchtlinge handelt, die erwerbstätig sind und überhaupt keine Sozialhilfeleistungen beanspruchen.

Von der Sache her sagt der Paragraph 7 nichts anderes als die Bestimmungen nach dem Bundessozialhilfegesetz zum Einsatz des persönlichen Vermögens bei Sozialhilfebezug.

Wenn das Sozialamt davon erfährt, daß jemand neben der Sozialhilfe einer nichtangemeldeten Arbeit nachgeht, kann es Rückforderungen stellen oder einen neuen Bescheid über die Höhe der Sozialhilfe erlassen. Aber es ist nicht Aufgabe des BGS, Gelder zu konfiszieren.

F: Welche Rolle spielen die »verdachtsunabhängigen Kontrollen«, in deren Folge die Beschlagnahmungen stattfanden?

Damit kann der BGS ohne konkreten Verdacht Passanten kontrollieren. Insbesondere dient diese Praxis der Flüchtlingsabwehr und der Überprüfung der Aufenthaltspapiere. Die Adressaten dieser Prozedur werden nach ihrem Gesicht, nach ihrer Hautfarbe ausgewählt. Hierbei weitet der BGS seine Kompetenzen aus und erklärt sich eigenmächtig zum Hilfssheriff für das Sozialamt.

F: Sind auch Fälle aus anderen Bundesländern bekannt?

Bisher nicht, obwohl ich das nicht ausschließen will. In den Grenzregionen, zum Beispiel in der zu Frankreich, sind die Kontrollen mit dem Wegfall der offiziellen Grenzen innerhalb der EU bis 30 Kilometer ins Inland vorverlagert worden. Der BGS kontrolliert etwa alle Züge, die zwischen Basel und Mannheim verkehren. Die »verdachtsunabhängigen Kontrollen« richten sich auch dort gegen vermutete »illegale Einwanderung« und die Verletzung der sogenannten Residenzpflicht, also der Aufenthaltspflicht der Flüchtlinge an ihren Meldestellen.

F: Zunächst haben Sie mit einer Beschwerde reagiert. Gibt es außerdem noch Spielräume auf juristischer Ebene?

Man kann natürlich Rechtsmittel gegen die Beschlagnahmung des Geldes einlegen und mit einer Dienstleistungsbeschwerde gegen das Vorgehen der Beamten Einspruch erheben. Letzteres hat jedoch wenig Wirkung. Es ist aber dennoch notwendig, weil so der Sachverhalt nochmals überprüft wird. Ansonsten gehe ich davon aus, daß es nicht nur notwendig ist, diese Praxis des BGS auf juristischer Ebene anzugehen, sondern sie in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.

F: Sind weitere Schritte geplant, um diesen öffentlichen Druck herzustellen?

Es gibt in Karlsruhe ein Bündnis gegen Neofaschismus, Ausländerfeinlichkeit und Rassismus. Im Oktober sind Aktionen geplant, die vor allem den strukturellen Rassismus in dieser Gesellschaft, zu dem die »verdachtsunabhängigen Kontrollen« gehören, thematisieren werden.

Interview: Gerhard Klas