taz 29.9.2000

Asylrecht ist Völkerrecht

Die gestern diskutierte Richtlinie soll in naher Zukunft garantieren, dass Flüchtlinge überall in der EU Anspruch auf ein faires Verfahren haben aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Eitel Harmonie herrschte gestern beim Innenministertreffen der Europäischen Union in Brüssel - jedenfalls solange es nur ums Geld ging. 216 Millionen Euro werden - verteilt auf fünf Jahre - von der EU für den europäischen Flüchtlingsfonds bereit gestellt. Ein Drittel erhält Deutschland, da dort in den letzten drei Jahren ein Drittel aller Flüchtlinge Aufnahme fand. Jedes Land gibt noch einmal die gleiche Summe dazu, um Einrichtungen für Flüchtlinge, Integrationsmaßnahmen und Rückkehrhilfen zu finanzieren.

Die Kandidatenländer allerdings, die bereits jetzt von Transitländern zunehmend zu Aufnahmeländern werden und die "alte" Union von Flüchtlingen entlasten, gehen leer aus. "Dieser Fonds ist nur für die Mitgliedstaaten", stellte der deutsche Innenstaatssekretär Henning Schapper klar.

Da Deutschland mit knapp 30 Prozent zum EU-Haushalt beiträgt, fließt unter dem Strich kaum etwas zurück. Dennoch war Schapper zufrieden: "Es ist kein schlechtes Geschäft, das wir da machen." Über die Lastenverteilung bei einer neuen Massenflucht müsse allerdings noch einmal gesprochen werden. Deutschland hat auf einer Protokollnotiz bestanden, dass in der EU-Richtlinie für den vorübergehenden Schutz von Bürgerkriegsflüchtlingen die Lastenverteilung fair geregelt werden soll.

Getreu den Absichtserklärungen im Amsterdamer Vertrag und dem erneuten Bekenntnis vor einem Jahr in Tampere, einen "gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" zu schaffen, arbeitet die Kommission an mehreren Richtlinien, die den Rechtsraum Europa vereinheitlichen sollen. Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass bei Innenminister Schily die Arbeit des zuständigen portugiesischen Kommissars Antonio Vitorino auf Widerstand stößt. Und so war gestern beim zweiten Tagesordnungspunkt - erste Aussprache über Vitorinos Richtlinienentwurf für Mindestnormen bei Asylverfahren - Schluss mit der Harmonie. Überraschend kam das kategorische Nein aus Schilys Ministerium nicht. Auch den vor wenigen Wochen vorgelegten Vitorino-Entwurf zur Familienzusammenführung von Flüchtlingen hatte Schily in trauter Eintracht mit konservativen deutschen Abgeordneten des Europaparlaments als Aushöhlung deutschen Asylrechts abgelehnt.

Die gestern diskutierte Richtlinie soll in naher Zukunft garantieren, dass Flüchtlinge in der EU Anspruch auf ein faires Verfahren haben. Garantiert werden das Recht auf persönliche Befragung, auf Kontakte zu Rechtsbeiständen und das Recht, gegen eine Entscheidung Berufung einzulegen. Die Mitglieder können selbst entscheiden, ob sie ein beschleunigtes Verfahren für unbegründete Anträge einführen. Sie können Asylbewerber aus "sicheren Drittstaaten" oder "sicheren Herkunftsländern" bereits an der Grenze zurückschicken. Im deutschen Asylrecht von 1993 gibt es das schon. Allerdings geht die Definition des "sicheren Drittstaates" sehr viel weiter, als es der Vitorino-Vorschlag in Zukunft erlauben würde. Die Kommission will, dass nur noch in Länder, zu denen der Asylbewerber einen "Bezug" hat, abgeschoben werden kann.

Auch hier sieht Schily ebenso wie die Konservativen im EU-Parlament das bewährte deutsche Asylrecht in Gefahr. Dem "Asyltourismus", so kritisierte der EU-Abgeordnete Hartmut Nassauer, sei damit Tür und Tor geöffnet. Es gehe nicht an, dass sich Asylbewerber ihr Aufnahmeland aussuchen dürfen. Innenpolitische Fragen werden bislang im Ministerrat nur einstimmig beschlossen. "Deutschland wird seine Interessen wahrnehmen und falls nötig vom Veto Gebrauch machen", kündigte Innenstaatssekretär Henning Schapper an. Diese Drohung lässt Deutschlands Reformwillen bei der derzeit verhandelten Neuordnung der Union zweifelhaft erscheinen. Während die Deutschen bei jeder Gelegenheit betonen, Mehrheitsentscheidungen im Rat sollten die Regel werden, Vetorecht nur wenigen Ausnahmen vorbehalten bleiben, pochen sie immer dann auf ihr Vetorecht, sobald die Ideen aus Brüssel unbequem sind - zum Beispiel wenn das schöne deutsche Asylrecht humanisiert zu werden droht.