taz 29.9.2000

Grüne flüchten in die Opposition

Ein breites Aktionsbündnis von DGB bis Pro Asyl stellt Memorandum für den Schutz der Flüchtlinge vor. Grüne äußern viel Sympathie, gestehen aber Machtlosigkeit bei der Durchsetzung ihrer Ziele ein

BERLIN taz Fast schien es gestern so, als seien die Grünen immer noch in der Opposition. Anlässlich des "Tag des Flüchtlings" stellten zahlreiche Flüchtlings- und Wohlfahrtsorganisationen von Pro Asyl bis DGB ein "Memorandum für den Schutz der Flüchtlinge" vor. Zwei Stunden später luden die Grünen zu einer eigenen Pressekonferenz, auf der sie die Forderungen der Autoren des Memorandums unterstützten - obwohl diese viel weiter gehen als die bisherigen Vorhaben der Regierung.

"Die Politik muss sich auf die Seite der Verfolgten stellen", sagte Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller. Gleichzeitig räumte sie aber ein, der bei Regierungsantritt versprochene "deutliche Kurswechsel" in der Flüchtlingspolitik sei "nicht so einfach" durchzusetzen.

Ebenso wie die Autoren des Memorandums begrüßten die Grünen auch den Entwurf der EU-Kommission zu Mindestnormen für Asylverfahren. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Claudia Roth, nannte die Vitorino-Vorlage "außerordentlich positiv", weil sich darin "ein deutliches Bekenntnis für einen effektiven Rechtsschutz wiederfindet". Angesichts der ablehnenden Haltung des SPD-geführten Innenministeriums zeichnet sich hier ein neuer Konfliktstoff für die Koalition ab. Abzuwarten bleibt, ob sich die Grünen dieses Mal durchsetzen können.

Die bisherige Bilanz nach zwei Jahren rot-grüner Asyl- und Flüchtlingspolitik nannte Fraktionschefin Müller "durchwachsen". In kaum einem anderen Politikbereich habe es "solche Konflikte" gegeben. Immerhin sei aber die "Negativspirale" der vorherigen Regierung gestoppt worden, die die Rechte von Flüchtlingen immer weiter eingeschränkt habe. Als Erfolge nannte Müller unter anderem den Beschluss zur Aufhebung des generellen Arbeitsverbotes für Asylbewerber.

Die grünen Politikerinnen stellten sich auch hinter die Forderung des Memorandums, das individuelle Recht auf Asyl zu erhalten: "Mit uns wird es keine Verschärfung des Asylrechts geben", so Müller, die sich erneut gegen eine Vermischung der Themen Zuwanderung und Asyl aussprach. Man dürfe nicht zulassen, so Müller, "dass über den Umweg der Zuwanderungskommission die Axt an das Asylrecht gelegt wird".

Die Unterzeichner des Memorandums wollen jedoch nicht nur den Status quo erhalten. Sie setzen sich vielmehr für weitere Verbesserungen des Flüchtingsschutzes ein. So müsse "endlich auch in der Bundesrepublik Deutschland" nichtstaatliche Verfolgung als Fluchtgrund anerkannt werden. Eine Bedrohung bestehe auch, "wenn im Herkunftsstaat keine übergreifende staatliche oder staatsähnliche Ordnungsmacht existiert oder der Staat schutzunfähig ist". Die Grüne Claudia Roth versprach, sich für eine entsprechende Gesetzesänderung einzusetzen.

Wie schwer es den Grünen aber fällt, Verbesserungen des Flüchtlingsschutzes in die Wege zu leiten, wurde am Beispiel der Flughafenverfahren deutlich: "Vielleicht ist da bald eine neue Initiative möglich", sagte Kerstin Müller vorsichtig. LUKAS WALLRAFF