Rhein-Neckar-Zeitung, 28.9.2000

Neshes Lehrerin bricht ihr Schweigen

Neue Erkenntnisse im Fall Fena Özmen, die auf Anordnung der Stadt Heidelberg in die Türkei zurück soll

Von Karia Sommer - Foto: Garcia

Sie war eine der ersten, die Fena Özmen, genannt "Neshe" (der Name bedeutet auf kurdisch etwa die Verstoßene) bei ihrer Wiedereinreise nach Deutschland auf dem Frankfurter Flughafen in die Arme nahm: Marianne Link. Neshes ehemalige Lehrerin freute sich mit vielen anderen, dass es nun doch geglückt war, die Kurdin, um die es viel Gezerre und Gezetere gab (die RNZ berichtete), wieder in Heidelberg zu haben. Wie bekannt, musste Neshe Mitte März 1999 in die Türkei zurück, bekam aber dann, da sie ihren Cousin aus Stuttgart geheiratet hatte, eine Aufenthaltsgenehmigung bis 2001.

"Was hat die Ausländerbehörde der Stadt Heidelberg veranlasst, diese rigorose Entscheidung zu treffen mit dem Zusatz des sofortigen Vollzugs?", fragt nun Marianne Link. Wie berichtet, muss Neshe Mitte Oktober Deutschland wieder verlassen. Marianne Link kann sich des Eindrucks nicht erwehren, "dass es um politische Machtstrukturen geht, denen Neshe wieder einmal zum Opfer fällt". Alle deutschen Behörden hätten nach ihrer Ansicht ihren Ermessensspielraum nicht ausgeschöpft. Und die Lehrerin lüftet deshalb das Schweigen, das um Neshes Privatleben liegt: "Neshes Heirat war keine Scheinehe. Bereits vor ihrer Abschiebung 1997 hatte sie sich mit ihrem Cousin verlobt."

In der kurdischen Tradition, so erklärt sie, sei es üblich, sich früh und innerhalb der Familie auf eine Partnerschaft festzulegen. Wenn diese Verbindungen nur zum Schein, wie manche behaupten, eingegangen worden sei, hätte es nicht so viel Emotionen und keinen Streit in der Familie gegeben, ist sie sich sicher. Die Heidelberger Familienrichterin hatte die Ehe der Kurdin für ungültig erklärt, obwohl der Ehemann nie davon gesprochen hatte "getäuscht worden zu sein"

Marianne Link schildert die Situation während der Gerichtsverhandlung: "Neshe konnte in der Verhandlung nicht frei sprechen. Vor dem Richterzimmer versammelte sich die gesamte Familie des Ehemanns". Alle wichtigen Personen der Großfamilie waren anwesend. Es wurde laut diskutiert und gestritten, erzählt Marianne Link, die der Richterin vorwirft, dass Neshe angesichts dieser Umstände nicht getrennt und allein angehört wurde.

Die Entscheidung fiel also, ohne dass Neshe "dem Druck der Familie" entzogen wurde. Der Ehemann von Neshe sei, so beteuert Marianne Link, erstaunt gewesen, in allen Punkten Recht zu bekommen. Hatte er früher immer beteuert, dass seine Frau eine Ausbildung machen könne, so würde er jetzt "mit Hilfe der deutschen Behörden" versuchen, Neshe wieder in die Türkei zurückzuschicken".

Was sie dort erwartet "als zurückgewiesene Ehefrau", musste eigentlich die Ausländerbehörde wissen, meint Link. Dem Amt wirft sie indirekt vor, dies nicht nur zu ignorieren, sondern auch zu tolerieren: seien doch ihr gegenüber von Seiten der Ausländerbehörde Sätze gefallen wie: "Dass sie (Neshe) als Zweit- oder Drittfrau gegen ihren Willen verheiratet werden wird, ist keine besondere Härte. Das gehört zu ihrer Kultur, genau wie die Tatsache, im Haus festgehalten zu werden".

Link macht deutlich, dass Neshe die Getäuschte sei und zwischen zwei Stühlen sitzte. "Geht sie an die Presse, ist sie gezwungen, über ihre Ehe zu reden. Dabei beschmutzt sie als kurdische Frau das Ansehen ihrer Familie. Schweigt sie, steht ein Teil der Öffentlichkeit und der Gerichtsbeschluss gegen sie". Deshalb schweigt Neshes ehemalige Lehrerin nicht mehr und fragt öffentlich, warum eigentlich die Heidelberger Behörden Neshe immer wieder um Schweigen der Öffentlichkeit gegenüber gebeten hätten. Während die junge Kurdin noch von ihrem Ausbildungsgehalt die Abschiebekosten in Höhe von 11000 Mark abstottere, habe sie ihr erstes Lehrjahr als Zahnarzthelferin erfolgreich abgeschlossen. Ihr Arbeitgeber hätte "entsetzt zur Kenntn.is nehmen müssen", dass mit der Anordnung der Stadt Heidelberg Neshe ab sofort die Arbeitserlaubnis entzogen worden sei. "Wem nützt es eigentlich, wenn Neshe nach Anatolien ins Grenzgebiet zum Irak ins Haus eines Onkels geschickt wird?", fragt die enttäuschte Lehrerin sich und jetzt die Öffentlichkeit.