DER STANDARD (A), 28. September 2000, Seite 4

Ein gemeinsames Asylrecht für die EU

Der Ministerrat prüft heute ersten Entwurf der Kommission

Jörg Wojahn

Brüssel/Wien - Ein Beispiel, wie Asylpolitik in der EU nicht aussehen sollte, geben derzeit Frankreich und Belgien. Vergangenen Donnerstag wurde eine ganz neue Art der Schlepperei ruchbar: Die französische Grenzpolizei soll kurzerhand 45 illegale türkische und albanische Einwanderer auf die belgische Seite der Grenze in der Nähe des Nordseebades De Panne gekarrt und sie dort am Straßenrand abgesetzt haben. Ohne jede Absprache mit den belgischen Behörden.

Dieses "Sankt-Florians-Prinzip" sollte nach der neuen Asylverfahrensrichtlinie, deren Entwurf EU-Kommissar Antonio Vitorino heute, Donnerstag, in Brüssel dem Rat der Innen- und Justizminister vorstellt, in Zukunft überflüssig werden. Die "Richtlinie über Minimalnormen für das Verfahren der Anerkennung und Entziehung des Flüchtlingsstatus in den Mitgliedsstaaten" wird nämlich regeln, wie mit Asylbewerbern umzugehen ist, deren Anträge unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind - und diese Begriffe erstmals einheitlich definieren.

Gemeinsame Verfahrensstandards sollen vor allem das "Forum-Shopping" zwischen den EU-Staaten vermeiden: Bisher können sich Asylbewerber im Prinzip den Staat mit den großzügigsten Vorschriften als ersten Anlaufpunkt aussuchen. Künftig hätten die Mitgliedstaaten zudem das Recht, einen Asylantrag ohne weiteres abzulehnen, wenn ein anderer Staat für dessen Prüfung zuständig ist. Die Zuständigkeitsverteilung selbst ist zum größten Teil bereits im so genannten Dubliner Übereinkommen von 1990 geregelt.

Großen Wert legt der Richtlinienentwurf auf ein rasches Verfahren - im Interesse der Staaten und der Asylbewerber. Dazu wird ein Zeitlimit von 65 Tagen für die Bescheidung eines Antrags vorgegeben. Den Flüchtlingen gewährt die Richtlinie EU-weit einheitliche Mindestrechte. Garantiert werden unter anderem das Recht auf persönliche Anhörung und auf einen Rechtsbeistand. Außerdem dürfen abgelehnte Bewerber gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegen. Dabei sollen sie immer in einer Sprache, die sie beherrschen, über den Verfahrensstand informiert werden.

Minderjährige Flüchtlinge ohne Begleitung sollen nach der Richtlinie zwar besonderen Schutz genießen - ihnen muss ein Vormund zur Seite gestellt werden, der sie während des Asylverfahrens betreut. Andererseits sind aber auch Tests zur Bestimmung ihres wahren Alters erlaubt.

Außer um die Asylbewerber werden sich die Minister bei ihrer heutigen Sitzung auch um die EU-Staaten selbst kümmern: Sie wollen einen Flüchtlingsfonds einrichten. Aus diesem sollen Länder unterstützt werden, die in akuten Notfällen mehr Flüchtlinge aufnehmen als andere - wie 1999 in der Kosovo-Krise.