Badische Zeitung, 28.9.2000

Kongress stimmt über ein Gesetz zum Mord an den Armeniern ab

Präsident Sezer protestiert - USA verärgern Regierung in Ankara

Von unserem Korrespondenten Jürgen Gottschlich

ISTANBUL. Heute diskutiert ein Ausschuss des amerikanischen Kongresses über eine Gesetzesinitiative zu Mord und Vertreibung der Armenier aus dem heutigen Osten der Türkei. Auf türkischer Seite hat dies zu Verstimmung geführt.

"Unseren Beziehungen zu den USA droht nachhaltiger Schaden", sagte der stellvertretende Ministerpräsident und Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli. Vor Bahceli hatten bereits Ministerpräsident Bülent Ecevit und Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer bei Präsident Bill Clinton interveniert, doch bislang ohne Erfolg. Bereits am vergangenen Donnerstag erhielt die von den Republikanern eingebrachte Gesetzesvorlage in einem Unterausschuss des Repräsentantenhauses die Mehrheit. Sie hat zum Ziel, den Mord und die Vertreibung der Armenier in der Endphase des Osmanischen Reiches 1915, offiziell zum Völkermord zu erklären.

Der Völkermord an der armenischen Minderheit während des Ersten Weltkrieges gehört zu den letzten Tabuthemen des türkischen Staates. Während nicht nur Armenier, sondern auch unabhängige Historiker davon sprechen, dass der Vertreibung der Armenier aus dem heutigen Osten der Türkei und ihre Deportation in die syrische Wüste eine Million Armenier zum Opfer fielen, ist die türkische Position, es habe sich bei der so genannten Umsiedlung um eine Reaktion auf armenische Aufstände gehandelt. Genauso viele Türken wie Armenier seien umgekommen. Unstrittig ist lediglich, dass heute nur noch 80'000 Armenier in der Türkei leben. Im Osmanischen Reich waren es 1,5 Millionen.

Heute entscheidet der einflussreiche Ausschuss für Internationale Beziehungen über die Gesetzesvorlage. Geht der Antrag durch, wird das Plenum über das Gesetz abstimmen. Gepusht wird die Gesetzesvorlage, die die armenische Diaspora angeregt hat, vom Sprecher der republikanischen Fraktion Dennis Hastart. Die Führung der Republikanischen Partei will die Gesetzesvorlage noch bis Mitte Oktober, bevor der Kongress seine letzte Sitzungsperiode vor den Präsidentschaftswahlen abschließt, durch das Parlament bringen. Dahinter steht die Erwartung, im Kampf um die Präsidentschaft die Stimmen der Armenier für George W. Bush zu sichern.

Während amnesty international für die Vorlage der Republikaner trommelt, versucht die amtierende demokratische Regierung das Gesetz zu verhindern. Sie hat den Abgeordneten zu verstehen gegeben, dass ein solches Gesetz die Beziehungen zur Türkei empfindlich treffen und die Interessen der USA in der gesamten Region schädigen würden. Außerdem könne ein solches Gesetz den Prozess einer Annäherung zwischen der Türkei und Armenien behindern.

Diese Ansicht vertreten auch die meisten Sprecher der armenischen Minderheit in Istanbul. Hrand Dink, Chefredakteur der armenisch-türkischen Zeitung Agos meinte, Türken und Armenier sollten direkt miteinander darüber reden, was 1915 passiert ist und das nicht über den Kongress tun. Ähnlich äußerte sich der armenische Erzbischof Mutafyan. Seit Sezer vor einigen Wochen in der Vollversammlung der UN gesagt hatte, die Frage sollte man den Historikern überlassen, werben die Armenier in Istanbul für eine gemischt besetzte Historikerkommission. Die Mehrheit der türkischen Politiker zeigt jedoch, wie schon in den vergangenen Jahren, wenig Dialogbereitschaft.

Ankara überlegt heute, als Warnung an die USA zunächst für drei Monate wieder einen Botschafter nach Bagdad zu schicken und, falls das nicht reicht, der Luftwaffe den Stützpunkt Incirlik zu sperren, von wo aus die USA den irakischen Luftraum kontrollieren.