junge Welt, 28.09.2000

Briefe an den Bundestag

Unterstützung für kurdische Familie Akyüz: Kundgebung vor Waffenschmiede Fritz Werner geplant

Das Schicksal der untergetauchten kurdischen Familie Akyüz wird nun auch den Petitionsausschuß des Bundestages beschäftigen. Der Wiesbadener Flüchtlingsrat und der Unterstützerkreis für die Familie rufen dazu auf, den Ausschuß aufzufordern, sich für die von der Abschiebung in die Türkei bedrohte Familie einzusetzen.

Aus diesem Anlaß wird am 30. September in Wiesbaden eine Kundgebung unter dem Motto »Bleiberecht für Familie Akyüz« stattfinden. Zudem ist geplant, vor der hessischen Waffenschmiede Fritz Werner in Geisenheim, nur wenige Kilometer von Wiesbaden entfernt, gegen die Ausfuhr einer Munitionsfabrik und für einen Abschiebestopp in die Türkei zu demonstrieren. Dazu Uta Ries vom Wiesbadener Flüchtlingsrat: »Es ist eine makabre und nicht hinnehmbare Politik, auf der einen Seite Waffen zu liefern und auf der anderen Seite Kurden, die in der Türkei damit verfolgt und ermordet werden, abzuschieben. Mit dieser skrupellosen Praxis muß Schluß gemacht werden.«

Gegenwärtig lebt Familie Akyüz in einem Versteck, wie schon einmal im Frühjahr diesen Jahres. Aus ihrem Kirchenasyl in der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) in Mainz war die Familie kürzlich geflohen, weil von der Kirchenleitung eine begleitete Rückkehr in die Türkei als denkbar ins Spiel gebracht worden war und sich die Situation für die Familie dadurch dramatisch zuspitzte: Das Risiko einer Abschiebung in das Land, in dem einige Familienmitglieder mißhandelt und gefoltert worden waren, wollte die Familie unter allen Umständen vermeiden. Die Vorgeschichte bewegt seit einigen Monaten viele Menschen, die mit der Familie zu tun hatten oder sich inzwischen in den Medien informiert haben. Vater Akyüz war 1993 nach Wiesbaden gekommen, der Rest der Familie - die Ehefrau, acht Kinder, die Schwiegertochter und ein Enkelkind - folgten zwei Jahre später. Die Familie war aus der Türkei geflohen, weil die Weigerung des Vaters, für die Streitkräfte als »Dorfschützer« zu arbeiten, Mißhandlungen und Folter, auch für andere Familienmitglieder, zur Folge hatte. Obwohl die Familie mit ihrer Flucht offenkundig ihren Peinigern entkommen wollte, wurden die Asylanträge sämtlicher Familienmitglieder und zwei Folgeanträge des Vaters abgelehnt. Der Vater wurde zweimal abgeschoben, zuletzt zu Beginn diesen Jahres. Aus Furcht vor erneuter Verfolgung ist er derzeit in der Türkei untergetaucht.

Für die anderen Familienmitglieder sind gegenwärtig noch die Asylfolgeverfahren beim Verwaltungsgericht Wiesbaden anhängig. Außerdem laufen eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und ein Aufruf an den Petitionsauschuß des Deutschen Bundestages. »Da das Verwaltungsgericht Wiesbaden sich Argumenten und Beweisen gegenüber unzugänglich zeigt«, so eine Erklärung des Flüchtlingsrates, »hoffen wir nun auf den Petitionsausschuß des Bundestages und bitten, diesen brieflich aufzufordern, der schwer gefährdeten und traumatisierten Familie endlich ein Bleiberecht zu ermöglichen«. Im Moment lebe die Familie verstreut und unter unzumutbaren Bedingungen versteckt.

Mindestens das Aussprechen einer Duldung und eine psychotherapeutische Behandlung der durch Folter schwer traumatisierten Familienmitglieder Emine und Süleyman Akyüz, sowie eine gründliche Untersuchung anderer Familienmitglieder gelte es durchzusetzen.Thomas Klein

* Mahnwache und Kundgebung: Samstag, 30. September von 11 bis 16 Uhr auf dem Mauritiusplatz in Wiesbaden (Kundgebung 14 Uhr). Vorbereitung: Flüchtlingsrat Wiesbaden, Tel./ Fax: 0611/495249