Stuttgarter Zeitung 26.9.2000

Blick über die Grenze

Ehninger Pfarrer gewährt kurdischer Familie Kirchenasyl

Seit neun Tagen befindet sich die Familie Baydar unter dem Schutz der evangelischen Kirche in Ehningen im Kreis Böblingen. Mit dem Asyl möchte Pfarrer Heinrich Düllmann den Kurden etwas Zeit verschaffen, damit sie einen Asylfolgeantrag stellen können.

Von Holger Buchwald

Vier Personen sitzen im ehemaligen Internetcafé des evangelischen Gemeindehauses. Dort warten sie darauf, dass erneut über ihr Schicksal entschieden wird. Seit acht Jahren wohnen die Baydars in Ehningen und warten auf ihre Anerkennung als Asylbewerber. Bisher waren sie in Deutschland geduldet. Doch jetzt könnte die Familie jederzeit ausgewiesen werden. Zwei Asylanträge vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart sind ebenso gescheitert wie eine Petition vor dem baden-württembergischen Landtag. Deshalb sah der Familienvater Haydar Baydar keine andere Möglichkeit, als Pfarrer Heinrich Düllmann um Hilfe zu bitten.
Der 39-jährige Asylbewerber befürchtet, dass er in der Türkei verhaftet und gefoltert wird. Vor acht Jahren ist er illegal nach Deutschland gekommen, um sich den Repressalien durch die türkischen Behörden zu entziehen. Haydar Baydar hatte sich im kurdischen Widerstand engagiert, Flugblätter verteilt und Jugendliche dazu aufgerufen, den Wehrdienst zu verweigern. "Ich bin vier Mal mehrere Tage lang im Gefängnis festgehalten worden'', erzählt Baydar. Man habe gedroht, ihn umzubringen, und habe ihn gefoltert.
Eine medizinische Untersuchung von Refugio Stuttgart, einer Unterorganisation des Diakonischen Werks, die sich um Flüchtlinge kümmert, stützt die Aussagen des ehemaligen Maschinenführers. Die Ärzte stellten bei Baydar Nasenbeinbrüche fest, die von der Folter herrühren könnten. Trotzdem glaubten die Richter nicht, dass die kurdische Familie in der Türkei gefährdet sei.
Das Kirchenasyl geht maßgeblich auf einen Unterstützerkreis zurück, der sich im vergangenen November um Waltraud Konopka gegründet hat, der damaligen Englischlehrerin von Baydars Tochter Emine. Damals hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart den zweiten Asylfolgeantrag abgelehnt, worauf eine Gruppe von Freunden der Familie eine Petition im Landtag einreichte.
Mit dem Kirchenasyl möchte Pfarrer Düllmann vor allem Zeit gewinnen und den Baydars die Chance geben, dass ihr Fall nochmals gründlich untersucht wird. Trotzdem weiß er, dass er nur einen symbolischen Schutz vor der Abschiebung gewähren kann. Das Regierungspräsidium kann jederzeit die Anweisung geben, die Baydars abzuholen und auszuweisen. "Im Regierungsbezirk Stuttgart ist das Kirchenasyl bisher zwar immer respektiert worden'', sagt Ralf König, der Pressesprecher der Behörde. Gleichzeitig betont er aber, dass auch die Kirche staatliche Entscheidungen anerkennen müsse. Er glaubt nicht, dass die Familie mit einem erneuten Antrag durchkommt, da bereits zwei Mal über den Fall verhandelt wurde.
Haydar Baydar aber hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Richter ihre Meinung ändern könnten. Drei seiner Geschwister sind in Deutschland, und alle sind anerkannte Asylbewerber. Außerdem haben die Baydars den Anwalt gewechselt. Gerhard Härdle sieht durchaus Chancen. Aus seiner Erfahrung berichtet der Jurist von ähnlichen Fällen, in denen Familien ein dauerhafter Aufenthalt gewährt wurde. Es könne aber Monate dauern, bis die Richter entscheiden.