Süddeutsche Zeitung, 25.9.2000

Einen Tag nach französischem Vorstoß

Auch Russland bricht Irak-Embargo

Flugzeug mit Duma-Abgeordneten in Bagdad gelandet / Scharfe Kritik aus den USA

Moskau/Bagdad (dpa/AP) - Nach dem umstrittenen Flug einer französischen Chartermaschine in den Irak ist am Samstag auch ein russisches Verkehrsflugzeug in Bagdad gelandet. Russische Duma-Abgeordnete, Vertreter einer russischen Ölgesellschaft und eine Fußballmannschaft hätten fünf Tonnen Medikamente und Medizintechnik in das seit zehn Jahren von UN-Sanktionen betroffene Land gebracht, meldeten die russischen Nachrichtenagenturen.

Bereits am Freitag war eine französische Boeing 737 auf dem Saddam-Hussein-Flughafen von Bagdad gelandet, an Bord etwa 60 Intellektuelle, Ärzte und Sportler. Eine Aktionsgruppe mit dem Namen "Ein Flugzeug für den Irak" wollte mit dem Flug "bewusst" das UN-Flugembargo verletzen, um auf die "unmenschliche Situation, in der sich die irakische Bevölkerung seit der Verhängung des Embargos vor zehn Jahren befindet", hinzuweisen. Ein weiterer Flug ist für kommenden Mittwoch geplant. Der französische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Jean-David Levitte, erklärte den Flug für rechtens.

Nach russischen Angaben wurden die Vereinten Nationen über den Flug der Tupolew-154 nach Bagdad informiert. Bereits am 19. August war nach russischen Angaben eine russische Passagiermaschine mit Hilfsgütern als erstes ausländisches Flugzeug auf dem wiedereröffneten internationalen Flughafen von Bagdad gelandet. Die russische Luftfahrtgesellschaft Aeroflot verhandelt mit dem Irak über eine Wiederaufnahme regelmäßiger Flüge zwischen Bagdad und Moskau. In der russischen Hauptstadt wurde am Sonntag eine 70-köpfige irakische Delegation mit Beamten der Luftfahrtbehörde und Vertretern von Iraq Airways erwartet.

Der Irak wertete die Flüge als Zeichen dafür, dass Amerikaner und Briten mit ihrem Versuch, das Land zu isolieren, gescheitert seien. "Der Irak ist sehr wichtig. Keiner kann ein Land mit solchen Potenzialen ignorieren", sagte Abdulrassak el Haschemi, ein Mitglied der regierenden Baath-Partei. Die Sanktionen der Vereinten Nationen gegen den Irak bestehen seit 1990. Weder Russland noch Frankreich hatten für ihre Flüge eine Genehmigung des UN-Sanktionsausschusses. Vor den beiden Flügen war seit zehn Jahren keine Maschine mehr in Bagdad ohne UN-Genehmigung gelandet.

Wirtschaftliches Interesse

Die USA und Großbritannien kritisierten den Vorstoß Frankreichs und Russlands scharf. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Richard Boucher, sprach von einer "eklatanten Verletzung" der Sanktionen und eingespielter UN-Verfahren. Der britische UN-Botschafter Jeremy Greenstock sagte zum Vorstoß Frankreichs: "Die Londoner Reaktion ist eine der Überraschung und des Bedauerns.

Russland erhofft sich von einer Lockerung der Sanktionen den Abschluss von Verträgen zur Öllieferung und die Rückzahlung von Schulden durch Bagdad. Frankreich macht geltend, dass die Sanktionen hauptsächlich der Zivilbevölkerung schaden. Von den ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat befürwortet neben Frankreich und Russland auch China eine Lockerung der Strafmaßnahmen.