nordwest.net, 31.08.2000

Eine Tour durch den Irak

Saddam reist immer mit

Von Nikolaus Sedelmeier

gms Bagdad. Jordanisch-irakischer Grenzübergang, es ist schon nach Mitternacht. Von einem Wandteppich mit Fransen blickt Präsident Saddam Hussein pathetisch an die Decke. Nachlässig gekleidete Grenzer wühlen in den Koffern der Reisegruppe - angeblich um Kameras, Devisen und Goldvorräte zu kontrollieren. Der langwierige Grenzübertritt wird zur ersten Geduldsprobe und lässt dem Touristen Zeit, sich auf eines einzustellen: Im Irak reist Saddam unsichtbar immer mit.

Das nach dem Golfkrieg über den Irak verhängte Flugverbot macht die beschwerliche Einreise über Jordanien oder Syrien erforderlich. Für die Busfahrt von Amman nach Bagdad müssen bis zu 20 Stunden einkalkuliert werden. Allein die Grenzprozedur dauert leicht acht Stunden. Die Einreise kostet 350 US-Dollar (etwa 720 Mark) - dazu kommen die Visagebühren, deren Höhe sich nach der Reisedauer richtet. Doch Trotz aller Schikanen und Wegelagerei zieht es seit einigen Jahren wieder mehr deutsche Touristen ins Zweistromland. Vor allem für archäologisch und historisch interessierte Menschen sind die Schätze an Euphrat und Tigris ein lohnendes Reiseziel.

Die Hauptstadt Bagdad präsentiert sich als quirlige Metropole. Nicht einmal die chronischen Stromausfälle können die Händler in den verfallenden Kolonnaden der Rashid-Street bremsen: Wer etwas auf sich hält im Irak, ist im Besitz eines Generators. Der Tourist muss damit rechnen, immer wieder von Kindern angeschnorrt zu werden, doch die Belästigungen halten sich in Grenzen. Hat man erst einmal Tuchfühlung mit den Irakis aufgenommen, herrscht rasch eine herzliche Atmosphäre. Die Gespräche drehen sich meist um die Sanktionen der Vereinten Nationen, die in erster Linie die einfachen Leute zu spüren bekommen.

Überall sind Porträts des Präsidenten zu sehen. Saddam in Uniform, Saddam als Scheich und im Anzug, mit Maschinenpistole, Teeglas oder Sonnenhut. Jeden Abend zur besten Sendezeit verkündet der Machthaber im Fernsehen in staatstragendem Tonfall der vom Embargo geplagten Nation seine Durchhalteparolen. Der TV-Auftritt Saddams wird von hymnisch vorgetragenen Schnulzen begleitet. Und immer wieder sind Massenaufmärsche, Militärparaden und tanzende Frauen zu sehen.

Schon das Kriegervolk der Assyrer ging einst an seiner Hochrüstungspolitik zu Grunde, lernt der Irak-Reisende. In Assur, Ninive, Nimrud und Khorsabad wird die Besichtigung der Überreste des von Medern und Persern zerstörten assyrischen Reiches zur Begegnung mit der Archäologie. Aus braunen Lehmhügeln schälen sich in Ninive Reliefs aus der Zeit von König Sanherib mit Belagerungsszenen, Landschaften und Tierdarstellungen, bewacht von fliegenden Stieren.

Die Funde ziehen aber auch Übeltäter an. Diese Erfahrung musste der Archäologe Mazuhim Mahmud machen, der kiloweise Geschmeide aus staubigen Gräbern in Nimrud barg. Die Funde lösten einen Goldrausch unter der Bevölkerung aus. Nun wird auf den Grabungsfeldern geklaut, was das Zeug hält, klagt der empörte Mazuhim mit bitterer Miene. Seit dem Embargo ist die Kriminalitätsrate stark gestiegen, erzählt der Reiseführer Adel. Touristen aber können sich im Lande verhältnismäßig sicher fühlen - dafür sorgt schon die überall präsente Geheimpolizei.

Mitten in der Wüste erheben sich die Paläste der Stadt Hatra, die im zweiten Jahrhundert nach Christus ihre Blütezeit erlebte. Die Araber kontrollierten damals die Karawanenstraßen, auf denen die Waren von Indien und China nach Europa befördert wurden. Überall im Irak finden sich Baudenkmäler aus der Zeit der großen islamischen Reiche. In Samarra zum Beispiel können sich Schwindelfreie auf ein 52 Meter hohes Spiralminarett aus dem Jahr 847 wagen und von dort den weiten Blick in die mesopotamische Ebene genießen.

Zu den Höhepunkten einer Irakreise zählt die Besichtigung der teilweise rekonstruierten Ruinen von Babylon. Wo einst der biblische Turm von Babel stand, klafft heute aber nur noch ein mit Schilf bestandener Tümpel, in dem Wasserbüffel weiden. Schon Alexander der Große hatte das Bauwerk abtragen lassen, weil er es an anderer Stelle wieder aufbauen lassen wollte. Sein früher Tod hat dies verhindert.

Weiter geht es in den Süden des Irak. Hier sind die Leute noch ärmer, die Ortschaften noch trostloser und das Nahrungsangebot reduziert sich nun auch für Touristen endgültig auf Huhn oder Lamm mit Reis. Die Stadt Nasirya ist Ausgangspunkt der Exkursionen in das Reich der Sumerer. In den Stadtstaaten dieser Zivilisation wurde vor rund 5.000 Jahren die Keilschrift entwickelt. In Ur und Uruk, das nur über eine miserablen Piste zu erreichen ist, sind Ruinen aus dieser Zeit erhalten. Andächtig steht der Reisende vor den Zeugnissen einer frühen Hochkultur, die als eine der "Wiegen der Menschheit" gilt.

Mit knapp zwei Wochen ist ein Aufenthalt im Irak lang genug, um einen umfassenden Einblick in die Geschichte Mesopotamiens zu erhalten. Bei der Ausreise stellt sich ein gewisses Gefühl der Erleichterung ein. Im Stacheldraht baumeln Plastiktüten im Wind, die Kalaschnikow lehnt am bröselnden Mauerwerk. Zum Abschied legt Saddam die Faust an die Hosennaht seiner ordensgeschmückten Paradeuniform.

Informationen: Bei den Veranstaltern Ikarus Tours in Königstein (Tel.: 06174/290 20), Athena Reisen in Hamburg (Tel.: 040/35 12 57) und Rotel-Tours in Tittling (Tel.: 08504/40 40, Fax: 08504/49 26).