Frankfurter Rundschau, 23.09.2000

Flüchtlinge dürfen nach Wartezeit arbeiten

Rot-Grün offenbar einig / Asylbewerber dürfen nach einem Jahr Aufenthalt Job annehmen / Vorrang für Inländer

Von Vera Gaserow

Die Bundesregierung hat sich offenbar auf eine Aufhebung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge verständigt. Asylbewerber sollen künftig nach einer zwölfmonatigen Wartefrist eine Arbeitsgenehmigung erhalten. Jobsuchende Deutsche und EU-Bürger sollen bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes jedoch weiterhin Vorrang haben.

BERLIN, 22. September. Nach Informationen der Frankfurter Rundschau kam die Einigung bei einem Spitzengespräch im Kanzleramt zustande. Das federführende Bundesarbeitsministerium wollte sie am gestrigen Freitag noch nicht bestätigen. Dagegen gaben die Bundestagsfraktion der Grünen und die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, bekannt, die Koalition habe eine Einigung erzielt.

Der Verständigung waren zähe Verhandlungen vor allem über die Länge der Wartefristen für Asylbewerber vorausgegangen. Die jetzt erzielte Einigung soll den so genannten Clever-Erlass aufheben, der allen Asylbewerbern, die nach dem Stichtag 15. Mai 1997 eingereist waren, ein generelles Arbeitsverbot auferlegt hatte.

Zuvor hatten Flüchtlinge nur eine gesetzliche Wartefrist von drei Monaten vor der Arbeitsaufnahme einhalten müssen. Das generelle Arbeitsverbot war in der Vergangenheit von mehreren Sozialgerichten als rechtswidrig eingestuft wurden.

Konkret soll die neue Regelung so aussehen: Asylbewerber können sich um eine Arbeitsstelle bemühen, wenn sie seit mindestens zwölf Monaten in Deutschland leben. Neu einreisende Flüchtlinge dürfen demnach frühestens nach einjähriger Wartefrist eine Arbeit aufnehmen. Anerkannte Bürgerkriegsflüchtlinge und Ausländer mit humanitärer Duldung sollen der Wartefrist nicht unterliegen. Auch traumatisierten Flüchtlingen soll der Zugang zum Arbeitsmarkt künftig erleichtert werden.

Vor jeder Arbeitsaufnahme von Asylbewerbern müssen die Arbeitsämter jedoch in jedem Einzelfall prüfen, ob sich für die jeweilige Arbeitsstelle nicht deutsche oder Bewerber aus EU-Ländern finden. Für Ausländer, die bereits eine feste Arbeitsstelle haben, soll diese Vorrangprüfung - anders als bisher - nicht jedes Jahr neu durchgeführt werden.

Vor allem um den Kernpunkt der neuen Regelung, die Aufhebung des Arbeitsverbots nach einer zwölfmonatigen Wartefrist, hatte es langes koalitonsinternes Gerangel gegeben. Mit dem Verweis auf die hohe Zahl deutscher Arbeitsloser hatte vor allem das Arbeitsministerium auf einer mehrjährigen Wartefrist bestanden. Das Innenministerium hatte gewarnt, zu rasche Arbeitsmöglichkeiten für Asylbewerber könnten einen Einreise-Anreiz für Flüchtlinge schaffen. Die Grünen hingegen hatten eine Wartefrist von drei Monaten, die das Asylverfahrensgesetz verlangt, für ausreichend gehalten.

Der jetzt erzielte Kompromiss könnte nach internen Schätzungen rund 100 000 Asylbewerbern, die durch das Arbeitsverbot auf staatliche Sozialleistungen angewiesen sind, den Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnen. Die tatsächliche Zahl dürfte aber, vor allem wegen der weiter gültigen Vorrangprüfung, viel niedriger liegen.