Ostsee-Zeitung, 23.09.2000

Tausende fliehen über Griechenland und Türkei

Was für Schlepperbanden ein Riesengeschäft ist, wird für Griechenland und die Türkei zum ernsthaften Problem: Beide Länder entwickeln sich zum Zentrum für illegalen Menschenschmuggel.

Istanbul/Athen (dpa) Die Szenen des Jammers häufen sich in Istanbul. Da werden fast täglich verzweifelte Männer, weinende Frauen und verängstigte Kinder aus Bussen geholt, abgeführt und in der Regel abgeschoben. Die Menschen aus asiatischen oder nahöstlichen Ländern hatten sich für viel Geld skrupellosen Schleppern in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa anvertraut. Die Schleichwege illegaler Einwanderer führen offensichtlich verstärkt durch die Türkei und Griechenland. In beiden Ländern vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Dutzende Illegale gefasst werden. In der Türkei benutzen die Menschenschmuggler in der Regel zwei Routen: Auf dem Landweg transportieren die Schlepper ihre Kunden in Autos, Bussen oder zusammen gepfercht in Lastwagen nach Edirne, nahe der griechischen Grenze. Türkischen Angaben zufolge sind in den vergangenen vier Jahren in Edirne rund 47 700 Ausländer gefasst worden, die illegal über die Grenze wollten. In den ersten acht Monaten dieses Jahres wurden schon fast 10 000 Menschen ohne gültige Papiere festgenommen. Für Schleuserbanden ist der Menschenschmuggel ein Riesengeschäft. Rund 1000 Dollar müssen die Flüchtlinge türkischen Berichten zufolge für den Transport nach Griechenland bezahlen - damit zahlten alleine die gefassten illegalen Zuwanderer in diesem Jahr fast zehn Millionen Dollar. Die zweite Route führt über die Ägäis auf eine griechische Insel. Iraker, Iraner, Pakistaner oder Afghanen versuchen mit Schiffen, Kuttern, Schnellbooten, ja sogar mit Paddelbooten, von der türkischen Küste auf eine der unzähligen griechischen Ägäisinseln zu gelangen und damit Fuß auf den Boden eines Mitgliedstaates der Europäischen Union zu setzen. Doch eine solche Überfahrt ist äußerst riskant: Mindestens 60 Menschen verloren in diesem Jahr dabei schon ihr Leben. Die Ägäis gilt als eines der gefährlichsten Meere der Welt. Selbst in Inselnähe kommen immer wieder unerwartet Stürme auf. Selbst erfahrene Fischer haben Angst von dem lokalen Sturm, dem berüchtigten "Meltemi". Doch dies schreckt Schleuserbanden ebenso wenig wie die Schnellboote der griechischen Küstenwache, die rund um die Uhr in der Ägäis patrouillieren. Das Geld scheint zu verlockend zu sein: Nach Angaben entdeckter Illegaler kostet die Fahrt nach Griechenland und die Schleusung nach Italien pro Kopf zwischen 1500 und 3000 Dollar. Und das schmutzige Geschäft blüht offensichtlich immer mehr. Allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres sind rund 3000 illegale Zuwanderer und 77 als Schleuser verdächtigte Menschen an griechischen Küsten und in Häfen festgenommen worden. Darüber hinaus wurden mehr als 200 Schiffe und Boote beschlagnahmt. Dabei ist dies nur die Spitze des Eisberges. Die griechische Polizei geht davon aus, dass die Gesamtzahl der illegalen Einwanderer zehn mal größer als die der Festgenommenen ist.