Neue Zürcher Zeitung, 21.09.2000

Mindestnormen für Asylverfahren in der EU

Richtlinienvorschlag der Kommission

lts. Brüssel, 20. September

Die EU-Kommission hat einen Richtlinienvorschlag über Mindestnormen für die Asylverfahren in den Mitgliedstaaten veröffentlicht. Die Gewährung von Asyl bleibt nach wie vor in der nationalen Kompetenz, und die Regierungen sind auch weiterhin frei in der Gestaltung ihrer Asylpolitik. Materiell eingeschränkt werden sie weiterhin allein durch die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Vorschlag der Kommission beschränkt sich auf eine Harmonisierung von Mindestanforderungen an normale und beschleunigte Verfahren, an Beschwerdemöglichkeiten und Fristen sowie an die Kriterien zur Bezeichnung von «unzulässigen» und «offensichtlich unbegründeten» Fällen.

Zum einen geht es der Kommission um Mindestverfahrensgarantien. Der Richtlinienentwurf sichert unter anderem die persönliche Befragung, sprachlichen Beistand, Zugang zu Rechtsberatung und das Recht auf Berufung zu. Unbegleitete Minderjährige hätten überall und immer Anrecht auf einen Vormund zur rechtskundigen Vertretung ihres Antrages. Zum andern will die Kommission durch straffere Verfahren vermeiden, dass schutzbedürftige Flüchtlinge lange Zeit im Ungewissen gehalten werden und anderseits Personen von den langwierigen Prozeduren profitieren, die ihren Asylantrag ohnehin bloss zur Aufenthaltsverlängerung stellen. Mit einheitlicheren Verfahren, ist die Kommission überzeugt, liessen sich auch die durch die Suche nach günstigeren Aufnahme- oder Aufenthaltsvoraussetzungen ausgelösten sekundären Flüchtlingsbewegungen zwischen den Mitgliedstaaten eindämmen.

Was die Kommission vorlegt, geht auf den Europäischen Rat von Tampere zurück, der sich im Oktober 1999 für ein gemeinsames europäisches Asylsystem ausgesprochen hatte. Die vorgestellte Richtlinie ist nach Meinung der Kommission bloss ein erster Schritt auf dieses Ziel hin. Das «gemeinsame europäische Asylsystem» bedeute letztlich eine Zuweisung der Asylanträge an den zuständigen Staat, einheitliche Normen für ein gerechtes und wirksames Verfahren, gemeinsame Minimalvoraussetzungen für die Aufnahme von Asylbewerbern und eine Annäherung der Kriterien zur An- oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Dazu kommen sehr praktische Fragen zur Vermeidung eines Attraktionsgefälles zwischen den Mitgliedstaaten, wie die einheitliche Regelung der Arbeitsbewilligung für Asylsuchende oder ihres Zugangs zum öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesen während des Aufnahmeverfahrens.