junge Welt, 20.09.2000

Warum Verstoß gegen »Residenzpflicht«?

jW sprach mit einem betroffenen Asylbewerber

(Asylbewerber werden bestraft, wenn sie unerlaubt den ihnen zugewiesenen Landkreis verlassen und damit gegen die sogenannte Residenzpflicht verstoßen. - Cornelius Yufanyi ist Aktivist der Migrantenorganisation »The Voice« und der erste Flüchtling, der sich weigert, diese Strafe zu bezahlen)

F: Sie sind zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil Sie sich frei in Deutschland bewegt haben. Wie kam es dazu?

Es ist bereits die zweite Geldstrafe. Die erste betrug 109 DM wegen einer Verhaftung in Köln. Ich habe sechs Stunden in einer Gefängniszelle verbracht, weil ich an einem von der Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten aufgerufenen Hungerstreik für Gerechtigkeit und gegen den G7-Gipfel im Juni 1999 teilgenommen habe. Grund war der Verstoß gegen das sogenannte Residenzpflichtgesetz.

Die zweite Geldstrafe von 600 Mark entstand aus einem neuerlichen Verstoß gegen dieses Gesetz während des Flüchtlingskongresses »Gemeinsam gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung« im April in Jena. Die Abschaffung des Residenzpflichtgesetzes war dort ein Hauptthema. Ein Vertreter der Ausländerbehörde Eichsfeld sah einen Artikel in der Thüringer Allgemeinen, in dem ich ein Interview zum Kongreß und gegen die Asylpolitik, u.a. die Residenzpflicht von Flüchtlingen in Deutschland gegeben habe. Daraufhin schickte der Vertreter der Ausländerbehörde eine Kopie des Artikels zur Polizei.

F: Auf welcher Grundlage beruht diese Residenzpflicht und wie wird sie angewandt?

Das Residenzpflichtgesetz ist ein Gesetz, das nur für die Flüchtlinge in Deutschland gilt, die sich noch in ihrem Asylverfahren befinden, und besagt, daß sich die Flüchtlinge nur in dem Landkreis, in dem sich ihre zuständige Ausländerbehörde befindet, aufhalten dürfen. Es gilt seit 1982; einige Flüchtlinge sind ihm schon seit mehr als neun Jahren ausgesetzt. Nach õ 56 AVfG (Asylverfahrensgesetz) kann ein Verstoß dagegen zu einer Geldstrafe bis 5 000 DM oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr führen. Bei mehrmaligem Verstoß droht ein Ausweisungsbescheid, d. h. die Abschiebung. Zum Verlassen des Landkreises kann in Ausnahmefällen von der Ausländerbehörde eine Reiseerlaubnis erteilt werden, auch wenn es sich nur um fünf Meter außerhalb handelt. Dieses Gesetz gilt für alle Bundesländer, in einigen Landkreisen müssen die Flüchtlinge für eine Reiseerlaubnis 15 Mark bezahlen.

F: Gibt es schon Erfolge im Kampf gegen dieses Gesetz?

Man kann nicht von Erfolg sprechen, sondern von Mobilisierung. Der Erfolg kommt mit der Abschaffung dieses Gesetzes. Dazu wird die Stimme der deutschen Bevölkerung benötigt. Die Mobilisierung auf Flüchtlingsseite muß dazu führen, daß niemand mehr dieses Gesetz respektiert. Wir hatten eine regionale Mobilisierungsaktion in zwölf deutschen Städten am 8. Juli, um gegen dieses Gesetz zu protestieren. Am 3. Oktober ist eine bundesweite Aktion in Hannover geplant, da an diesem Tag die deutsche Vereinigung gefeiert wird. Es ist eine europaweite Unterstützungsaktion in Frankreich, England, Irland, und von außereuropäischen Ländern in Südamerika und Afrika geplant, z. B. vor den deutschen Botschaften und Konsulaten.

F: Sie weigern sich, die Geldstrafe zu zahlen. Wie wird es weitergehen?

Ich kann nicht für meine von Geburt gegebene Bewegungsfreiheit bezahlen. Ich bin bereit, mit dieser Kampagne bis zum Europäischen Gerichtshof in Strasbourg zu gehen, denn ich weiß, daß ich von den deutschen Gerichten immer einen negativen Bescheid bekommen werde. Es handelt sich um ein deutsches Gesetz, das die Flüchtlinge diskriminiert, isoliert und kriminalisiert. Deswegen besteht nur vor einem europäischen Gericht die Möglichkeit, dieses Gesetz herauszufordern. Dabei kann ich mich schon im Gefängnis befinden oder abgeschoben sein, bevor dieser Prozeß zu Ende ist. Doch um der Gerechtigkeit willen bin ich bereit, diese Konsequenzen auf mich zu nehmen. In den Medien wird gegen Rassismus und Rechtsradikalismus aufgerufen, genau was ich in Jena und anderen Orten auch gemacht und wogegen ich gekämpft habe. Doch mit welchem Resultat kann ich rechnen? Mit einer Gefängnisstrafe, als ob ich selbst der Rechtsradikale oder Rassist wäre. Am 12. Oktober habe ich meine Gerichtsverhandlung vor dem Amtsgericht Worbis (Nordthüringen). Dazu rufe ich alle Deutschen im Namen der Menschenwürde auf, Zivilcourage zu zeigen. Für die Abschaffung der Residenzpflicht planen wir am gleichen Tag um 9 Uhr eine Kundgebung vor dem Gericht in Worbis.

Interview: Peter Nowak