junge Welt, 19.09.2000

Ein Krieg für den Wahlkampf?

US-Plan für Angriff gegen Irak. Mögliche Konfrontation mit Rußland

Seit Monaten erwarten US-amerikanische Medien einen neuen, schweren Militärschlag Washingtons gegen Irak, der weit über den täglichen Kleinkrieg hinausgeht, bei dem in den letzten zwei Jahren bei anglo-amerikanischen Bomben- und Raketenangriffen fast 300 Zivilisten getötet worden sind. Bisher hatte Bagdad den Washingtoner Falken keinen geeigneten Vorwand für eine solche Eskalation geliefert. Allerdings drängt die Zeit. Der amerikanische Wahlkampf steuert seinem Höhepunkt entgegen, und da könnte ein richtiger Bombenkrieg gegen den Erzbösewicht Saddam Hussein genau das richtige Wasser auf die Mühlen der Wahlkampagne von Clintons Vizepräsident Al Gore sein.

Amerikanische Kommentatoren, die der Republikanischen Partei und deren Kandidaten George Bush jr. nahestehen, befürchten zunehmend eine kriegerische Wahlkampfeinlage der demokratischen Regierung. Der bekannte online- Nachrichtenservice NewsMax kritisierte z. B. am Wochenende nachdrücklich das amerikanische »Säbelrasseln« und die »überraschende Verstärkung der US- Streitkräfte im Golf«, die die Regierung Clinton angeblich »aus Sorge wegen eines erneuten irakischen Angriffs auf Kuwait und Saudi-Arabien« befohlen habe. NewsMax unterstreicht die Verantwortungslosigkeit einer solchen Aktion zu diesem Zeitpunkt und malt sogar die Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes mit Rußland bis hin zum Nuklearwaffeneinsatz an die Wand. Denn ausgerechnet jetzt hat Moskau angekündigt, daß es einen Teil der UNO- Sanktionen gegen Irak nicht länger befolgen und mit der Wiederaufnahme des regulären zivilen Luftverkehrs beginnen will.

»Die Vereinigten Staaten fliegen eine große Anzahl von Kriegsflugzeugen und Tausende Wartungsmechaniker nach Kuwait, Saudi-Arabien und in die Türkei«, meldete bereits letzte Woche die Nachrichtenagentur AFP. Amerikanische Militärexperten, auf die sich NewsMax beruft, erwarten bereits im Oktober einen US-Überraschungsangriff auf Bagdad. Dabei bestünde die Gefahr, daß russische Passagierflugzeuge in Bagdad getroffen und russische Staatsangehörige getötet werden, weshalb es zu einer explosiven Konfrontation mit Moskau kommen könnte.

William Clinton und sein möglicher Nachfolger Al Gore scheinen aber auf Krieg zu setzen. Dafür wird seit Monaten die Spannung geschürt. Zuerst kamen die Berichte der US- Geheimdienste, wonach Irak wieder über einsatzfähige ballistische Kurzstreckenraketen verfüge. Aber selbst, wenn es so wäre, wäre dies immer noch kein Bruch der Rüstungskontrollverträge, die der Irak mit der UNO geschlossen hatte, denn Kurzstreckenraketen darf Bagdad entwickeln und besitzen.

Washington nahm die Meldung zum Anlaß, Iraks Nachbarn und insbesondere Israel vor der »Bedrohung durch neue irakische Mittelstreckenraketen zu warnen«. Eine in Deutschland stationierte »Patriot«-Einheit (ein Raketensystem zum Abschuß von ballistischen Raketen) sollte im Alarmtempo nach Israel verlegt werden. Nur, die Regierung in Jerusalem sah sich nicht von irakischen Raketen bedroht und winkte ab.

Da Iraks angebliche Raketendrohung ein Flop war, sah sich Washington gezwungen, nach anderen Vorwänden zur Rechtfertigung eines Überraschungsangriffs zu suchen. Die lieferte Bagdad letzte Woche selbst, indem es der Regierung von Kuwait vorwarf, horizontal unter der Grenze hinweg die irakischen Ölvorkommen anzubohren und zu stehlen. Da Irak bereits vor seinem Angriff auf Kuwait im August 1990 derartige Beschuldigungen erhoben hatte, hatte nun Washington den Grund, den es suchte, um die Verstärkung seines Militärs in der Region zu rechtfertigen.

Rainer Rupp