junge Welt 16.9.2000

Grüne auf der Flucht nach vorn

Internes Papier zu Neudefinition von Rüstungsexporten

Wie sag ich's meinen Wählern? Die Frage treibt die Bündnisgrünen um, seit sie einige aus ihren Reihen an den Katzentisch der Regierung delegieren durften. Ob sie sich dabei, wie wiederholt kolportiert, widerwillig im Krötenschlucken üben mußten oder - wie im Falle des NATO-Krieges gegen Jugoslawien - mehrheitlich freiwillig von einstigen gewaltfrei-grünen Idealen verabschiedeten, sei dahingestellt. Aber Kosovo war ja auch erst der Anfang; es folgten u. a. der Abschied vom Atomausstieg, und nicht zuletzt trieb die Frage der Rüstungsexporte die Partei in arge Erklärungsnöte. Nicht einmal den Export einer Munitionsfabrik in die Türkei konnten die Mitregierer in Sachen Menschenrechte verhindern. Und so dürften sich inzwischen nicht wenige fragen, wozu man oder frau denn eigentlich Grün gewählt haben bzw. künftig noch wählen sollten.

Eine Antwort auf Fragen dieser Art wurde nun aus dem Umfeld der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen publik: In einem am Donnerstag bekanntgewordenen internen Papier fordern Mitarbeiter der Fraktion eine Debatte über den künftigen Umgang mit dem leidigen Thema Rüstungsexporte. Ausgangspunkt ihrer Anregungen ist die Erfahrung, daß die Verknüpfung von Waffenlieferungen mit Menschenrechten »eher dem Versuch (diene), möglichst viele Rüstungsexportgeschäfte zu verhindern«. Und auf diese den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährende Feststellung folgt prompt die Absage an ein bislang ehernes Essential grüner Politik: »Auf Dauer werden die Menschenrechte als Hauptkriterium nicht tragen.« Im Wege des geringsten Widerstandes wird folglich vorgeschlagen, Rüstungsexporte entsprechend umzudeuten - als »Instrument deutscher Interessenpolitik«. Politische Einflußnahme über Waffenlieferungen, das machen die anderen europäischen Staaten und insbesondere die USA schließlich auch - und sogar vornehmlich in Krisengebieten.

Wenn schon Rüstungsexporte nicht generell verboten werden bzw. grüne Politiker sie nicht verhindern können und die Menschenrechtsklausel eh nicht greift - siehe Türkei -, dann muß man sie, die Rüstung, einfach umdeklarieren: als Mittel zur - natürlich löblichen - deutschen Einflußnahme in der Welt. Und schon hat man Waffenlieferungen, zu denen auch Ottilie und Otto Normalgrün kaum Nein sagen kann: Wenn schon in diesem Land grüne Politik nicht möglich scheint, so kann man sie vielleicht wenigstens anderswo in der großen weiten Welt realisieren. Zur Not eben auch mit Waffen, wenn sie denn einem guten Zweck zugeführt werden. Oder doch wenigstens dazu dienen, daß Deutschlands Grüne weiter mitregieren dürfen. Und für diesen Zweck scheint fast jedes Mittel recht. Auch jede Waffe? Frau Beer, übernehmen Sie?!

Peter Rau