Ostsee-Zeitung, 13.9.2000

Bevölkerung wächst durch Zuwanderung

Berlin (OZ) Die Zuwanderung nach Deutschland soll neu geregelt werden. Ob dies in einer Verschärfung der Asylgesetzgebung enden soll und vielleicht in einer Vermischung von Asylrecht und Einwanderung, ist selbst innerhalb der Regierungskoalition umstritten. Innenminister Otto Schily (SPD) hat eine unabhängige Zuwanderungskommission berufen, die sich gestern zur konstituierenden Sitzung traf.

Die Zuwanderung muss besser als bisher zu steuern sein und nachvollziehbar für jedermann. Dann wird sie gesellschaftlich akzeptiert und kann nicht von Außenseitern für politische Propaganda missbraucht werden. Sie hätte sich vordringlich an den politischen und an den wirtschaftlichen Bedürfnissen und Notwendigkeiten des Staates zu orientieren.

In Europa ist Deutschland, nach Russland, das bevölkerungsreichste Land. Die Bevölkerung wuchs bislang kontinuierlich - allerdings aufgrund eines Zuwanderungsüberschusses. Die Bundesrepublik ist in der EU das von Asylbewerbern bevorzugte Land: Letzte Zahlen des UN-Flüchtlingswerks belegen, dass 1997 knapp 251 000 Flüchtlinge Asyl in einem EU-Mitgliedstaat suchten, davon 104 353 in Deutschland.

Zu den Asylbewerbern kommen laut Innenministerium Spätaussiedler, Kriegs- und Bürgerflüchtlinge, nachziehende Familienangehörige von Drittstaatsangehörigen, jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und EU-Bürger. Durch die bestehende Gesetzgebung, die jedem Bedrohten ein Grundrecht auf Asyl in der Bundesrepublik Deutschland einräumt, "sind die Gestaltungsmöglichkeiten für eine aktive Zuwanderungspolitik deutlich eingeschränkt", sagte Schily jüngst in Berlin.

Er setzte eine Kommission unabhängiger Sachverständiger und Politiker ein, um eine "neue Ausländer- und Zuwanderungspolitik" erarbeiten zu lassen - freilich unter Wahrung humanitärer Grundsätze. Ebenfalls gilt es, demografische und technische oder wirtschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen.

Angestrebt wird auch die "de facto bestehende Verknüpfung zwischen Asylverfahren und Zuwanderung im Rahmen des rechtlich Möglichen aufzulösen", sagte Schily. Außerdem solle Bürokratie abgebaut werden.

Hauptstreitpunkt ist der Vorschlag - unter anderem der CSU - das individuelle Grundrecht auf Asyl (Art. 16 GG) abzuschaffen und durch eine institutionelle Garantie zu ersetzen. Der Umfang des Schutzes würde dann vom Staat festgelegt, was bisher jedem als einklagbares Grundrecht zusteht. Dann, so argumentiert die CSU, würde es weiniger Asylbewerber geben, die oft nur Wirtschaftsflüchtlinge seien. Dazu müsste aber das Grundgesetz geändert werden und zwar mit Zweidrittel-Mehrheit des Bundestages.

Die Mehrheit seiner Partei unterstütze dies, sagt der Vize-Fraktionschef der CDU, Wolfgang Bosbach. Der lange Weg durch die Instanzen solle wegfallen und nur noch eine Beschwerdekommission über den jeweiligen Fall befinden. Derzeit können sich Verfahren über Jahre erstrecken. "Das Asylrecht als solches darf nicht angepackt werden", ergänzt der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse, Rainer Eppelmann.

Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) verweist hingegen darauf, dass dieses Grundrecht nicht nur eine juristische Frage sei, sondern auch eine "humanitäre Verpflichtung". Flüchtlingsorganisationen wie Pro-Asyl erinnern an die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention, die bei einer Umwandlung des individuellen Asylrechts in eine institutionelle Garantie in Frage gestellt würden. Solche Überlegungen seien auch deshalb nicht nachzuvollziehen, so Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann, da in den vergangenen acht Jahren die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland um 80 Prozent zurückgegangen sei - von 438 000 im Jahr 1992 auf 95 000 im letzten Jahr.

Die CSU hält dagegen, dass im ersten Halbjahr dieses Jahres weniger als drei Prozent der Asylbewerber als politisch Verfolgte anerkannt wurden und nur acht Prozent aufgrund internationaler Schutzkonventionen Bleiberecht erhielten.

Einiger ist man sich hingegen in der Frage der Straffung und Vereinfachung der Verfahren sowie bei der Vermeidung des Missbrauchs. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und Mitglied in Schilys Kommission, Hans-Olaf Henkel, will zudem eine gesteuerte Einwanderung auch für andere Berufe als nur Informatiker. Dann solle es Asylbewerbern erlaubt sein zu arbeiten, findet Henkel. Bis dahin wird es aber beim derzeitgen Stand der Diskussion noch ein langer Weg sein.

HELVI ABS