Die Welt, 13.9.2000

Die Einwanderungskommission muss sich Zeit lassen

Rot-Grün kann die Debatte um eine neue Immigrationspolitik vor der nächsten Landtagswahl nicht gebrauchen

Von Roland Nelles

Berlin - Wochenlang wurde um sie gerungen, jetzt ist die neue Zuwanderungskommission der Bundesregierung in Berlin zu ihrer ersten Sitzung zusammengekommen. Das Gremium soll unter der Leitung der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) Empfehlungen zur Regelung der Zuwanderung in Deutschland vorlegen. Was einfach klingt, ist in Wahrheit ein kompliziertes Unterfangen. Denn: Ganz gleich welche Empfehlungen die Kommission am Ende ausspricht, die rot-grüne Bundesregierung wird damit ein Problem bekommen. Für die Koalition ist die Zuwanderungspolitik ein heißes Eisen. In weiten Teilen der Bevölkerung, so wissen SPD und Grüne, gibt es Bedenken gegen jede Art von Zuwanderung. Die bitteren Erfahrungen der Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft haben sich tief in das kollektive Gedächtnis von SPD und Grünen eingegraben. Damals gelang es der Unionsopposition mit einer Kampagne gegen dieses Vorhaben die Landtagswahl in Hessen zu gewinnen.

Ein solches Debakel soll nicht noch einmal passieren. Die Strategen in der Regierung haben daher die Linie ausgegeben, dass die Kommission keinesfalls vor den nächsten Landtagswahlen im März fertig werden darf. "Das könnte uns den ganzen Wahlkampf verhageln", lautet die Sorge. Geplant ist, dass die Ergebnisse Mitte 2001 vorgelegt werden.

Die Union befindet sich derweil in Lauerstellung. Ihre eigene Zuwanderungskommission hat unter dem Vorsitz des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller bereits die Arbeit aufgenommen. Für CDU und CSU steht fest, dass es ein Zuwanderungsgesetz nur geben kann, wenn in diesem Zusammenhang auch über eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl nachgedacht wird. Die Union will verhindern, dass es neue Einwanderungsarten gibt, ohne dass gleichzeitig die ungeregelte Einwanderung über das Asylrecht eingeschränkt wird. Angesichts dieser Gefechtslage ist für Innenminister Otto Schily, den Initiator der Einwanderungskommission klar, dass er eigentlich einen Kompromiss mit der Union bei der Einwanderung erreichen muss. Ein Alleingang würde der Koalition erneut eine heftige Ausländerdebatte bescheren, die möglicherweise sogar bis in den Bundestagswahlkampf 2002 hineinreichen könnte.

Der erste Versuch, die Union mit ins Boot zu holen, ist bereits gescheitert: An der Zuwanderungskommission wollte bis auf Frau Süssmuth kein aktiver Unionspolitiker teilnehmen. Und auch der nächste Versuch dürfte schwierig werden. Sollten Schily und Bundeskanzler Gerhard Schröder nämlich versuchen, der Union in Sachen Asyl entgegenzukommen, droht ihnen Ärger im eigenen Lager. Sowohl die Mehrheit der SPD-Fraktion als auch die Grünen lehnen die von der Union geforderte Änderung des Asylrechts kategorisch ab. Sogar Bundespräsident Johannes Rau schaltete sich unlängst ein, als er die Errichtung einer "Brandmauer" um das Asylrecht forderte.

Was sollen Schröder und Schily also tun? Eigentlich haben sie nur eine Möglichkeit, glauben Beobachter. Der Bericht der Kommission kommt zu den Akten - bis nach der nächsten Bundestagswahl.