Die Welt, 13.9.2000

Diplomatische Beweglichkeit zwischen den USA und dem Iran

Von Michael Stürmer

Berlin - Das Metropolitan Museum of Art in New York bietet viele Möglichkeiten für Begegnungen mit der Kunst. Eine Begegnung ganz anderer Art fand dort am Rande des UN-Millenniumsgipfels statt, als iranische und amerikanische Parlamentarier wie zufällig dort aufeinander trafen und über die mögliche Entspannung zwischen beiden Staaten sprachen. Weder die Amerikaner noch die Iraner hielten das Treffen lange geheim. Auf der iranischen Seite wollten sich die Konservativen nicht den Donner stehlen lassen von den Reformern, auf der amerikanischen wollten die wirtschaftsnahen Abgeordneten sich nicht länger den Mund und - was wichtiger ist - lukrative Geschäfte verbieten lassen. Der steigende Ölpreis, noch mehr das Öl des kaspischen Beckens, beflügelt die diplomatische Beweglichkeit auf amerikanischer Seite, der Bevölkerungsdruck und der Bedarf an westlicher Technologie treibt die iranischen Herrscher - quer zu den politischen Fronten in Teheran.

Wenn die beiden Hauptmächte am Persischen Golf wieder zueinander sprechen, dann werden bald die strategischen und wirtschaftlichen Landkarten des größeren Mittleren Ostens zwischen der arabischen Halbinsel und dem Kaspischen Meer umgezeichnet. Die Amerikaner sind die beherrschende See- und Luftmacht der Region, gestützt auf Basen in Saudi-Arabien und Bahrain. Aber mit der gleichzeitigen Eindämmung des Irak und des Iran haben sie sich mehr vorgenommen, als auf Dauer sinnvoll und durchzuhalten ist. Zudem lehrt jeder Blick auf die Karte der Region, dass das bisher ungelöste Problem der Pipelinestreckenführung von Baku zum offenen Meer sich via Iran schnell und billig lösen ließe, während die projektierte Linie aus Aserbaidschan nach dem türkischen Ceyhan am Mittelmeer nicht nur durch Tausende von Meilen unwegsamen und feindlichen Geländes führt, sondern auch mit drei Milliarden Dollar geschätzten Baukosten ein extremes finanzielles Wagnis bedeutet: An dem Tag, an dem Washington und Teheran wieder Umgang pflegen, wird daraus eine Bauruine.

Während das amtliche Iran weiterhin dem "Großen Satan" flucht, mäßigte das amtliche Amerika seine Klassifizierung des Mullah-Staates: statt Schurkenstaat nunmehr - politisch korrekt - "Sorgenstaat". Hohe Vertreter der Mineralölgesellschaften Chevron, Conoco und Exxon legten großen Wert darauf, in New York mit dem iranischen Parlamentspräsidenten Karroubi zu sprechen. Zugleich üben sie Druck aus auf Washington, um endlich die erstrebten Verträge mit dem Iran unterzeichnen zu können.

Das amtliche Washington dagegen hat noch immer nicht die Geiselnahme seiner Diplomaten vor 21 Jahren vergessen, wenngleich heute der iranische Griff nach Massenvernichtungswaffen und Trägerraketen sehr viel mehr Sorge macht und unter anderem auch als Begründung für die umstrittene National Missile Defence (NMD) angeführt wird. Aber je höher der Ölpreis steigt, desto mehr wird man über die authentischen Sicherheitsbedürfnisse des Iran in einer politisch zerklüfteten Region nachzudenken haben sowie über Rüstungskontrolle und legitimen Zugang zu Nuklearkraft.

Für die iranische Führung werden die Argumente der jüngeren Technokraten aus der Ölindustrie, die nie im Mullah-Look auftreten und stolz auf ihren Harvard MBA sind, immer plausibler. Die Bevölkerung wuchs seit der Revolution von 1979 zunächst ungebremst. Jetzt drängt Jahr um Jahr eine Million junger Menschen auf einen Arbeitsmarkt, der nichts bietet. Das Land muss die Zukunft nach dem Öl vorbereiten. Dafür taugt weder russische noch chinesische Technologie. Ohne westliche Ausrüstungen, Kredite und das dazugehörige Know-how, so fürchten die Technokraten, geht der Iran sozialen Explosionen entgegen.

Die Briten, die 1999 den amerikanischen Boykott ignorierten, haben sich vom Kuchen ein großes Stück gesichert, vor allem durch Investitionen in der Ölindustrie. Die Industrien anderer westlicher Länder werden folgen, sobald sie nicht mehr fürchten müssen, dass, wenn das Firmenflugzeug in Teheran gesichtet wird, sie in Amerika büßen müssen. Das Rapprochement zwischen Teheran und Washington aber ist nur eine Frage der Zeit. Wenn es eintritt, wird sich der Besuch im Metropolitan Museum gelohnt haben.