Süddeutsche Zeitung 12.09.2000

Nahost-Gespräche werden fortgesetzt

Israel hofft auf Einigung binnen weniger Wochen

Radikale Palästinensergruppen kritisieren Verschiebung der Staatsproklamation / Arafat reist nach Ägypten

Von Heiko Flottau

Kairo – Die Verschiebung der palästinensischen Staatsproklamation ist in Israel, Europa, den USA und in Russland auf Zustimmung gestoßen. Radikale Palästinensergruppen dagegen lehnten den Beschluss des palästinensischen Zentralrats ab. Das 129 Mitglieder umfassende Miniparlament der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO hatte am Sonntag mit großer Mehrheit die für den 13. September geplante Ausrufung eines palästinensischen Staates verschoben, ohne erneut ein festes Datum zu nennen. Nach ägyptischen Angaben wollte Palästinenser-Präsident Jassir Arafat noch im Laufe des Montags in Ägypten Präsident Hosni Mubarak über die Entscheidung des Zentralrats unterrichten.

Die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern ist für diese Woche geplant. Die Gespräche sollen etwa einen Monat dauern und abwechselnd in Israel und in den palästinensischen Gebieten stattfinden. Der israelische Verhandlungsführer, Außenminister Schlomo Ben Ami, hofft auf eine Einigung binnen „weniger Wochen“. Die Entscheidung des Zentralrates beweise, dass auch die Palästinenser an einer schnellen Lösung der Probleme interessiert seien, sagte Ben Ami. Ein Sprecher von US-Präsident Bill Clinton sagte, die Entscheidung sei erwartet worden, die beiden Parteien stünden jetzt aber vor weiteren schwierigen Diskussionen. Der stellvertretende russische Außenminister Wassilij Sredin lobte die Palästinenser mit den Worten, ihre politische Führung verstehe „die Gegebenheiten sehr gut“ und vertrete „eine Linie des politischen Dialoges“. In Damaskus dagegen äußerten zwei radikale palästinensische Gruppen Kritik an dem Beschluss. Israel akzeptiere lediglich einen unbewaffneten palästinensischen Staat, der mit anderen arabischen Staaten keine Verteidigungspakte schließen dürfe, sagte Nayef Hawatmeh, Vorsitzender der „Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas“ (DFLP). Maher al-Taher von der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) befürchtet, Israel und die USA würden die neuen Gespräche nutzen, um von Arafat noch mehr Zugeständnisse zu erreichen.

Die Volksfront habe im Zentralrat gegen eine Aufschiebung der Staatsproklamation gestimmt, da die Staatsgründung nicht Gegenstand von Verhandlungen sein dürfe, sagte Taher der Nachrichtenagentur Reuters. Die neuen Gespräche würden auf der Grundlage der Verträge von Oslo stattfinden. Aus diesen Verträgen habe bisher aber nur Israel Vorteile gezogen, beklagte Taher. Er warf Arafat vor, sich zu sehr auf das Problem des künftigen Status von Jerusalem zu konzentrieren. Mehr Aufmerksamkeit müsse in den Verhandlungen den fünf Millionen Flüchtlingen und ihren Nachkommen gelten, die in den Kriegen von 1948 und 1967 aus Palästina geflohen seien.

Der Zentralrat will bis zum 15. November, dem nächstmöglichen Termin für eine Proklamation, alle Vorbereitungen für eine Staatsgründung treffen. Bis dahin soll auch eine palästinensische Verfassung ausgearbeitet werden. Eine endgültige Entscheidung über die Proklamation wird vom Verlauf der Verhandlungen abhängig gemacht.