taz 12.9.2000

Stockholm stellt Berlin bloß

In Deutschland abgewiesen, in Schweden willkommen: Flüchtlinge aus Bosnien, die in ihrem Heimatort zur Minderheit geworden sind, bekommen eine Aufenthaltserlaubnis

STOCKHOLM taz Immer mehr bosnische Flüchtlinge, die in Deutschland abgewiesen worden sind, kommen nach Schweden. Grund hierfür ist eine großzügigere Haltung der schwedischen Ausländerbehörden zum Problem der so genannten Minderheitsbosnier. Anders als die deutschen Behörden mutet die schwedische Regierung es BosnierInnen, deren Heimatort mittlerweile von einer anderen Volksgruppe dominiert wird, nicht zu, dorthin zurückzukehren. Die Begründung: In vielen Fällen hätten Serben ihre verlassenen Häuser übernommen, und sie müssten außerdem mit Diskriminierung, Drohungen und Gewalt rechnen.

Gemäß der Dubliner Konvention, die sämtliche EU-Länder unterzeichnet haben, haben Flüchtlinge in der Regel kein Recht, ihren Fall in einem anderen als dem ersten Aufnahmeland geprüft zu bekommen. Normalerweise schickt auch Schweden Flüchtlinge, die in einem anderen EU-Land ein Asyl- oder Aufenthaltsverfahren durchlaufen haben, dorthin zurück.

Im Falle der MinderheitsbosnierInnen wird die Konvention aber nicht eingehalten, da Schweden die Bewertung der deutschen Behörden nicht akzeptiert. Es können damit grundsätzlich alle Flüchtlinge dieser Gruppe, denen in Deutschland der Aufenthalt verweigert wird, mit einer positiven Aufnahme in Schweden rechnen.

Die Regierung in Stockholm hatte lange gezögert, der deutschen Flüchtlingspolitik so offen die Note "ungenügend" auszustellen. Zwei Jahre lang lag das erste Musterverfahren einer aus Deutschland eingereisten muslimischen Familie, deren Heimatort jetzt von Serben dominiert ist, der Regierung vor, bevor es im Juni positiv entschieden wurde. Eine "einheimische Fluchtalternative" - diesen Flüchtlingen also zuzumuten, sich in einem anderen Ort niederzulassen, der von Muslimen dominiert wird - lehnt Stockholm ab: Dies widerspreche dem Abkommen von Dayton, das ethnischen Fluchtbewegungen und Säuberungen gerade entgegenwirken solle.

Schwedens Politik der offenen Türen spricht sich offenbar schnell herum. Im August kamen 270 asylsuchende BosnierInnen nach Schweden - in den ganzen ersten sechs Monaten dieses Jahres waren es nicht einmal 80 gewesen -, die meisten von ihnen aus Deutschland. Anders Westerberg, Direktor bei der Region Süd der Migrationsbehörde, rechnet damit, dass "einige tausend" von Deutschland abgewiesene BosnierInnen sich auf den Weg nach Schweden machen könnten. REINHARD WOLFF