Berliner Zeitung, 12.9.2000

Panzerlieferung an die Türkei offenbar vom Tisch

Im Gegenzug angeblich Zustimmung der Grünen zum Bau einer Munitionsfabrik / Keine Änderung der Menschenrechtslage

BERLIN, 10. September. Die Türkei wird ihren neuen Kampfpanzer offenbar nicht aus Deutschland beziehen. Zwar wollte sich die Bundesregierung am Wochenende in dieser Frage öffentlich nicht festgelegen. SPD-Fraktionschef Peter Struck hatte aber zuvor erklärt, die Regierung werde einen solchen Export nicht genehmigen. Nach "Spiegel"-Informationen sollen die Grünen im Gegenzug zum Verzicht auf das Milliarden-Geschäft der Lieferung einer Munitionsfabrik an die Türkei zustimmen. Die Grünen-Politikerin Angelika Beer begrüßte ein Nein zur Panzer-Lieferung, lehnte ein Junktim mit dem Munitionsgeschäft aber ab. Eine Regierungssprecherin sagte dazu am Wochenende, für die Bundesregierung sei die Sachlage unverändert. Über eine Lieferung werde entschieden, wenn es einen Antrag der Türkei gebe. Doch der liege nicht vor.

Nach Darstellung Strucks ist das Geschäft mit einem von der Industrie geschätzten Umfang von 14 Milliarden Mark aber kein Thema mehr. Kanzler Gerhard Schröder, Verteidigungsminister Rudolf Scharping (beide SPD) und die SPD-Fraktionsspitze seien sich "völlig einig", dass das Projekt nicht genehmigt werde, sagte er der "Welt". Die Menschenrechtslage in der Türkei habe sich dazu nicht ausreichend verändert.

Im Herbst 1999 hatte das Votum des Bundessicherheitsrates für die Lieferung eines Testpanzers vom Typ Leopard-2 an die Türkei die rot-grüne Koalition in eine schwere Krise gestürzt. Damals war unter anderen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) in dem Gremium überstimmt worden. Nach heftigem Streit hatte sich die Koalition auf neue Richtlinien für den Rüstungsexport geeinigt. Dadurch wird die Ausfuhr von Rüstungsgütern auch von der Menschenrechtslage im Empfängerland abhängig gemacht.

Die Türkei hatte Interesse an der Lieferung von rund 1 000 Panzern dieses Typs gezeigt. Nach "Spiegel"-Informationen verständigten sich Schröder, Scharping, Fischer, Struck und Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch auf den Verzicht. Dafür sollen die Grünen den Protest gegen die Lieferung einer Munitionsfabrik an die Türkei einstellen, der der Bundessicherheitsrat bereits zugestimmt hat.

In der rot-grünen Koalition ist es nach Angaben aus Regierungskreisen aber ausgemacht, dass das Geschäft trotz Grünen-Kritik zu Stande kommt. Die hessische Firma Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH hatte den Zuschlag für den entsprechenden Auftrag des türkischen Verteidigungsministeriums gemeinsam mit französischen und belgischen Partnern erhalten. Durch die Fabrik im Wert von 90 Millionen Mark soll es der Türkei ermöglicht werden, im Zuge einer Nato-Umrüstung auf eine neue Munitionsgröße umzustellen.

Beer, die Wehrexpertin der Grünen-Fraktion, lehnte eine Verbindung zwischen den beiden Projekten ab. Sie bekräftigte ihre Kritik am Munitionsexport. "Diese Entscheidung ist falsch", sagte sie Reuters und verwies auf einen entsprechenden Beschluss der Grünen. Die Bundestagsfraktion der Partei hatte die Genehmigung dieses Geschäfts durch den Bundessicherheitsrat auf ihrer Klausurtagung in Joachimsthal scharf kritisiert und eine künftig transparentere Praxis bei den Genehmigungsverfahren zum Rüstungsexport angemahnt.

Positiv äußerte sich Beer zu einem Verzicht auf das Panzer-Geschäft. "Ich hätte aber auch nichts Anderes erwartet", sagte sie. Nach ihren Worten würde bei einer anders lautenden Entscheidung das rot-grüne Regierungsbündnis platzen: "Wer Panzer in die Türkei liefern würde, würde den Bruch der Koalition provozieren."

Auch wenn es keine Panzerlieferung aus Deutschland geben soll, werde Ankara dennoch Panzer mit deutschen Bauteilen erhalten, da beide Konkurrenzmodelle damit bestückt würden, berichtete "Der Spiegel". Der französische "Leclerc" werde von einem deutschen Diesel angetrieben, der amerikanische "Abrams" solle auf Wunsch der Türkei mit deutschem Motor, deutschem Getriebe und der von Rheinmetall entwickelten 120-Millimeter-Glattrohr-Kanone ausgerüstet werden. (Reuters, AFP, dpa)

Kampfpanzer Leopard 2 A5 // Die Hauptwaffe des mit vier Soldaten besetzten Panzers ist eine 120 Millimeter-Glattrohrkanone. Mit ihr lassen sich während der Fahrt Ziele in einer Entfernung bis zu 2 500 Metern bekämpfen.

Ein Motor mit 1 500 PS beschleunigt den 55 Tonnen schweren Panzer bis auf eine Höchstgeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern.

Die "kampfwertgesteigerte" Version Leopard 2 A5 verfügt über einen besseren Schutz und eine neue Navigationsanlage. Die Reichweite beträgt maximal 400 Kilometer.

Die Grundsätze der Bundesregierung für Rüstungsexporte unter www. bmwi. de/infomaterial/ aussenwirtschaft/ exportkontrolle1. html AP/JÖRG SARBACH Die Bundeswehr verfügt über 225 Kampfpanzer Leopard 2 A5. Das türkische Heer testete auch Panzer aus den USA, Frankreich und der Ukraine.