Frankfurter Rundschau 11.9.2000

Rückkehr in den Ring

Rafik al-Hariri spielt in Libanon wieder eine Rolle

Von Abdel Mottaleb el-Husseini

"Ein Erdbeben für den Wiederaufbau Libanons." Mit diesem Satz bezeichnete der Kommentator der Beiruter Tageszeitung An-Nahar den klaren Sieg des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri (Bild: dpa/afp) bei den jüngsten Parlamentswahlen in Libanon. Die Darstellung ist zwar übertrieben, enthält jedoch ein Stück Wahrheit, wenn man die Hintergründe der politischen Wiederauferstehung al-Hariris näher betrachtet. Denn die libanesische Regierung seines Rivalen Selim al-Hoss und seines politischen Gegners Präsident Emile Lahud hat mit allen Mitteln versucht, die politische Karriere des Multimilliardärs Rafik al-Hariri zu beenden.

Schon bei der Verabschiedung des Wahlgesetzes war die Regierung bemüht, die Erfolgsaussichten der Opposition, die durch al-Hariri und den Drusenführer Walid Dschumblat vertreten wird, auf ein Minimum zu reduzieren. Die christliche Opposition um General Michel Aoun hatte von vornherein zum Wahlboykott aufgerufen. Zudem führten die der Regierung nahestehenden Medien wie das staatliche Fernsehen eine beispiellose Kampagne gegen die Opposition und besonders gegen al-Hariri. Die Regierung, die sich während des Wahlprozesses eigentlich neutral verhalten sollte, mischte auch bei der Aufstellung der Wahllisten mit. Die Sicherheitsorgane des Staates erwiesen dem Regierungslager gleichfalls ihre Dienste, was in der letzten Wahlphase zu einer gespannten Lage in Libanon führte. Erst nach einer Intervention des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad wurde die Einmischung des Militärs in die Wahlen besonders in der Bergregion und in Beirut verhindert. Syrien war bemüht, den Streit zwischen seinen Verbündeten sowohl aus dem Regierungslager als auch aus der Opposition unter Kontrolle zu halten. Dadurch waren die Wahlen - nach den in Libanon geltenden Normen - letztlich weitestgehend frei.

Al-Hariri konnte vom Missgeschick der Regierung und von der Angst der Libanesen vor einer fortschreitenden Einmischung der Armee in das politische Leben profitieren, und die große Masse der Wähler für sich gewinnen, die ihn als einen Verteidiger der Demokratie und der freien Entscheidung der Bürger betrachtete. Maßgebend für den Erfolg des ehemaligen Ministerpräsidenten waren aber noch andere Faktoren. Dazu gehört an erster Stelle das Unvermögen der Regierung Selim al-Hoss, die wirtschaftliche Krise zu lösen und die weit verbreitete Korruption zu bekämpfen. Keine der Versprechungen des amtierenden Ministerpräsidenten, der vor zwei Jahren als Nachfolger al-Hariris angetreten war, wurde eingehalten. Die Lebenssituation der Libanesen hat sich in den vergangenen zwei Jahren dramatisch verschlechtert. Die Wirtschaft stagniert, nachdem viele der vor allem aus der Golfregion kommenden Investoren das Vertrauen in Libanon verloren. Außerdem konnte und wollte al-Hoss nicht aus dem Schatten des christlichen Staatspräsidenten und ehemaligen Armeechefs Emile Lahud treten, was zur Unzufriedenheit seiner sunnitischen Wähler führte. Denn die Spitzenämter im libanesischen Staat sind nach dem Abkommen von al-Taif zwischen den Religionsgemeinschaften aufgeteilt. Den Kernpunkt dieses Abkommens bildete die Erweiterung der Machtbefugnisse des Ministerpräsidenten gegenüber dem Staatspräsidenten. Mit al-Hoss als schwachem Ministerpräsidenten ging das Gleichgewicht zwischen Sunniten und Maroniten verloren.

Al-Hariri konnte sich demzufolge als der wahre und starke Vertreter der Muslime Libanons darstellen. Das Wahlergebnis hat seine Führungsrolle unter den Sunniten Libanons bestätigt. Damit hat al-Hariri, der aus einer armen Familie aus dem Süden stammt, die politische Herrschaft der traditionellen Familien wie Salam und Hoss in Beirut beendet. Zu den Ursachen des Erfolges al-Hariris gehört zweifellos auch sein legendärer Reichtum, der es ihm ermöglichte, alle 18 Parlamentssitze in Beirut zu gewinnen. Al-Hariri hat allerdings keine Stimmen gekauft, sondern durch ein von ihm finanziertes soziales Netz vielen Menschen Hilfe geleistet, die ihnen vom libanesischen Staat verweigert wurde. Außenpolitisch hat al-Hariri seine engen Beziehungen zu Saudi-Arabien und zu den westlichen Ländern, vor allem den USA, die beim Wiederaufbau des Südens nach dem israelischen Abzug eine zentrale Rolle einnehmen werden, in seiner Wahlpropaganda optimal ausgenutzt. Die Libanesen können die Wiederbelebung ihrer durch den Bürgerkrieg und die israelische Besatzung angeschlagenen Wirtschaft kaum erwarten. Al-Hariri könnte nach Ansicht vieler Libanesen dabei helfen.

Außerdem hat die Schwäche der Regierung al-Hoss bei der Bewältigung der Lage in dem von der israelischen Armee geräumten Teil des Südens gezeigt, dass Libanon eine international erfahrene und anerkannte Führung braucht, die die libanesischen Interessen zur Geltung bringen kann. Libanon braucht eine starke Regierung, die auch die Konsequenzen eines etwaigen Friedensabkommens zwischen Israelis und Palästinensern bewältigen kann: Das Land beherbergt 350 000 palästinensische Flüchtlinge, die teilweise bewaffnet sind. Rafik Al-Hariri erwies sich dank seines hohen internationalen Ansehens für die breite Masse der Libanesen in der jetzigen Phase offenbar als unersetzlich, um die Ansiedlung der Flüchtlinge in Libanon zu verhindern und das bestehende Gleichgewicht zwischen Muslimen und Christen zu wahren.

All diese Gründe sprechen dafür, dass Rafik al-Hariri wieder libanesischer Ministerpräsident werden sollte. Dafür hat er eine breite Mehrheit im neuen Parlament gewonnen. Ihm fehlt aber die Zustimmung aus Damaskus, denn dort wird noch immer über die libanesische Politik entschieden. Die syrische Regierung, zu der al-Hariri in enger Verbindung blieb, hat bisher Staatspräsident Emile Lahud unterstützt, kann jedoch nicht die Ergebnisse der Parlamentswahlen übersehen. Syrien wird wahrscheinlich eine Einigung zwischen al-Hariri und Lahud herbeiführen. Denn dazu hat Damaskus momentan keine andere Alternative.