junge Welt, 08.09.2000

Aufruf aus dem Versteck

Von Abschiebung bedrohte kurdische Familie weiter auf der Flucht: »Bitte helft «

Einem Aufruf an Gemeinden, der kurdischen Familie Akyüz, die vor zwei Wochen aus Furcht vor einem Polizeieinsatz in der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) ihr Mainzer Kirchenasyl verließ und nun versteckt lebt, schloß sich jüngst der studentische Rat des ESG an. Dieser zeigte sich geschockt über die Haltung der Kirchenleitung, da der kurdischen Familie einerseits Schutz versprochen wurde und ihr gesagt worden sei: »Hier seid ihr sicher«. Auf der anderen Seite habe es aber Verhandlungen mit dem rheinland-pfälzischen Innenministerium gegeben, in denen das Ende des Kirchenasyls erörtert wurde.

Der studentische Rat unterstützt nun einen zuvor schon vom Wiesbadener Flüchtlingsrat an die Öffentlichkeit gerichteten Appell, der Familie erneut Schutz zu gewähren, da ansonsten das noch laufende Verfahren eingestellt werden könnte. Ohne offizielle Adresse droht der Familie genau dieses Schicksal.

Nun gibt es auch einen Appell von Süleyman Akyüz, dem ältesten Sohn der Familie, der in einem Schreiben an den Wiesbadener Flüchtlingsrat verzweifelt um Hilfe bittet. In dem Brief aus dem Versteck heißt es: »Die Leute, die uns nun helfen, haben kein Geld. Wir haben viel Angst vor der Polizei und vor einer Abschiebung. Wir sind deshalb aus der Kirche weggegangen, weil wir Angst hatten, daß der Pfarrer die Polizei holt.« Tatsächlich hatten Kirchenleitung und Pfarrer der ESG auf Druck des SPD-geführten rheinland-pfälzischen Innenministeriums der Familie am Ende des dreimonatigen Kirchenasyls die Pistole auf die Brust gesetzt: lediglich eine »begleitete Rückführung« sei als Lösung denkbar, das Kirchenasyl müsse beendet werden.

Aus Furcht davor, in das Land zurück zu müssen, in dem vor der Flucht nach Deutschland mehrere Familienmitglieder bereits mißhandelt und gefoltert worden waren, entschloß sich Familie Akyüz, das offenkundig nicht mehr sichere Kirchenasyl nachts zu verlassen. Eine Entscheidung, die keineswegs vorschnell getroffen wurde und nicht als Panikreaktion gewertet werden kann, denn selbst der Pfarrer der ESG, Ulrich Luig, räumt inzwischen mit Blick auf das Verhalten der Kirche freimütig ein: »Wir sind eingeknickt. Jetzt muß ich das mit meinem Gewissen austragen.«

Im Brief von Süleyman Akyüz heißt es: »Nun können wir vor Angst nicht mehr schlafen. Meine Frau ist schwanger, und ich kann nicht mal zum Arzt gehen. Die Kinder fragen, warum sie nicht zur Schule gehen. Wir müssen uns ständig verstecken. Warum? Bis wann soll das noch gehen? Auch wir wollen ohne Angst leben, wir sind auch Menschen. Wir haben keine Kraft mehr, so zu leben. Bitte helft uns.«

Eine Neuaufnahme des Asylverfahrens und das Aussprechen eines Bleiberechts wären zwar jederzeit möglich. Aber bisher zeigen sich die zuständigen Behörden gnadenlos. Eine Sprecherin von »kein mensch ist illegal« wies bereits vor einigen Wochen bei einer Protestkundgebung vor der Wiesbadener Ausländerbehörde darauf hin, daß deren Leiter von einer »ganz offensichtlich rassistischen Grundhaltung« geprägt sei. Denn Herr Tischel, der Chef der Ausländerbehörde, habe bei einem Gespräch, in dem es um die Zustimmung zum Umzug eines kurdischen Flüchtlings aus einer anderen Stadt nach Wiesbaden ging, unzweideutig geäußert: Wenn er es verhindern könne, komme hier kein Kurde mehr in die Stadt.

Dennoch hofft der Flüchtlingsrat, daß die Geschichte »Vom türkischen Folterkeller in die deutsche Abschiebemaschinerie« ein für die Familie gutes Ende nimmt: Vielleicht findet sich ja doch noch eine standhafte Gemeinde.

Thomas Klein