junge Welt, 07.09.2000

Hannover - Stadt der Zuflucht?

Verfolgte Schriftsteller sollen Asyl erhalten, andere Flüchtlinge werden weiter abgeschreckt

Die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover ist am Mittwoch offiziell dem internationalen Netzwerk »Städte der Zuflucht« (Cities of Asylum) beigetreten. Damit hat sich die Kommune verpflichtet, künftig bedrohten oder verfolgten Schriftstellern durch ein einjähriges Stipendium Schutz anzubieten. Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) und Joachim Sartorius vom Vorstand des Internationalen Schriftstellerparlaments (IPW) unterzeichneten am Nachmittag einen Kooperationsvertrag.

Das Schriftstellerparlament besteht seit sechs Jahren. Inzwischen können sich rund 25 Kommunen in Europa, Afrika, Nord- und Südamerika mit dem Titel »Stadt der Zuflucht« schmücken. Mehr als 40 Autorinnen und Autoren ist nach Angaben des IPW bislang geholfen worden. Außer einem Stipendium haben sie in ihren Zufluchtsorten eine Wohnung, eine Arbeitserlaubnis und ein Visum erhalten. Präsident des Schriftstellerparlaments ist zur Zeit der Nigerianer Wole Soyinka, Ehrenpräsidenten sind Vaclav Havel und Salman Rushdie.

In Hannover war die Initiative für den Beitritt zu dem Städtenetzwerk von einem Bündnis aus über 30 Gruppen ausgegangen. Sie hatten im Februar 1998 den Aufruf »Hannover - Stadt der Zuflucht« verabschiedet. Der Stadtrat faßte noch im Juli desselben Jahres einen entsprechenden Beschluß.

Nun wäre grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Hannover ein Zeichen zugunsten politisch verfolgter Menschen setzen und sich so auch als weltoffene Stadt präsentieren will. Nur müßten dem gesetzten Anspruch dann auch Taten folgen. Die alltägliche Politik der Behörden in Hannover gegenüber Asylbewerbern entspreche dem Image einer »Stadt der uflucht« jedoch nicht, erklärte am Mittwoch Niedersachsens Flüchtlingsrat und nannte dafür auch gleich Beispiele: So habe das örtliche Ausländeramt der polnischen Ehefrau eines in Hannover als Arzt arbeitenden und als asylberechtigt anerkannten Irakers die Aufenthaltsgenehmigung verweigert. Die Behörde habe auf der Ausreise der Frau nach Polen bestanden, sie könne schließlich bei der deutschen Botschaft ein Visum zum Zweck der Familienzusammenführung beantragen. Als die Frau Deutschland verlassen hatte, ließ die Stadt beim Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen die Asylberechtigung des Ehemannes überprüfen, weil in der nordirakischen UN- Schutzzone ja nun eine »inländische Fluchtalternative« gegeben sei. Das Aberkennungsverfahren läuft noch, die Ehefrau und Mutter wartet in Polen bis heute auf ein Visum.

Zu Beginn des vergangenen Jahres wurde ein Flüchtlingsehepaar aus dem Kosovo noch in der Ausländerbehörde verhaftet und zu einem Polizeirevier in Hannover gebracht. Die Frau, so der Flüchtlingsrat, habe sich ausziehen müssen, sei in eine Zelle gesperrt und »am ganzen Leib durchsucht« worden. Rund zehn Stunden hätten die Polizisten die Eheleute »unter erbärmlichen und erniedrigenden Bedingungen festgehalten«, verhört und erkennungsdienstlich behandelt. Ein Grund für diese Behandlung sei dem Paar nicht mitgeteilt worden.

Als die niedersächsische Landesregierung die Stadt Hannover und andere Kommunen 1997 zur Ausgabe von Wertgutscheinen statt Bargeld an Flüchtlinge drängte, hatte sich Oberbürgermeister Schmalstieg widersetzt. Unter Verweis auf die hohen Kosten und die mit dem Gutscheinsystem verbundene Diskriminierung erklärte das Stadtoberhaupt, die Stadt werde gegen eine formale Anweisung des Landes »gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen«. Doch als diese Anweisung wenig später einging, verzichtete die Kommune auf die angekündigte Klage.

Nach Ansicht des Flüchtlingsrates hätten die Verantwortlichen in Hannover Möglichkeiten und Spielräume, um den Ansprüchen an eine »Stadt der uflucht« gerecht zu werden. Dazu zählten die Auflösung aller Sammelunterkünfte und die dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge in Wohnungen, das Angebot einer flächendeckenden Beratung für Flüchtlinge und die vermehrte Einstellung von Migranten als Behördenmitarbeiter und »nicht nur im Reinigungsdienst«.

Reimar Paul